Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
Vom Netzwerk:
sie ist so durcheinander, wie man es nur sein kann angesichts so einer verrückten Geschichte. Sie sagt sich: Es ist ein Film, nimm es hin, was anderes bleibt dir eh nicht übrig, mit Ausnahme der Akuten, aber eine Akute haben die hier in Spanien gerade nicht, beziehungsweise wenn sie eine haben, möchte Valerie nicht hin.   Nimm es hin, nimm es hin , als sie neben Bernhard halten und Thomas das Fenster runterlässt und Bernhard sie anblinzelt und an Valerie gerichtet sagt: »Was willst du denn hier?«, und dann, als seien sie ein bestelltes Taxi oder so was, die hintere Tür öffnet und Sol Moscot zur Seite schubst und sich auf den Rücksitz setzt.
    Und plötzlich weiß sie nicht mehr, was   tot   in diesem Zusammenhang eigentlich genau bedeuten soll.
    Und dann ist da diese unfassbare Hoffnung, von der man nicht glauben kann, dass sie sich erfüllen wird, und schon gar nicht, dass sie es gerade tut.
    »Was ist?«, sagt er, als sie ihn mit offenem Mund ansieht, sprachlos immer noch, als hätte eine Zeitmaschine sie irrtümlich hier abgesetzt, obwohl sie eigentlich in die Antike wollte. »Wollt ihr nicht fahren?« Und er sitzt hinter seiner riesigen Tasche auf dem Rücksitz, und Sol Moscot sitzt neben ihm und hechelt im Fahrtwind, und das alles sieht so komisch aus, dass sie lauthals lachen muss, lauthals, weil die Situation so absurd, und lachen, weil Bernhard am Leben ist.
    Sitzt da also ihr toter Stiefvater auf dem angeranzten Sessel des Apartments. Das klingt wie der Anfang eines Witzes, zu dem man den Rest noch nicht hat, zu schweigen von einer Pointe. Ihr toter Stiefvater hat die Tasche neben sich gestellt, aber sonst noch nichts gemacht: nicht gesprochen, nicht getrunken, nicht mal das Blut abgewaschen. Woher das Blut ist, sagt er nicht. Er riecht, als wäre er draußen ein paar Stunden auf der Landstraße herumgelaufen. Seine Augen liegen tief in den Höhlen, die dunklen Ränder sehen aus wie druntergeschminkt. Sieht richtig scheiße aus, der tote Stiefvater, denkt Valerie, also scheiße im Sinne von tot, was aber jetzt doch so makaber ist, dass sie heftig den Kopf schüttelt. Sein Haaransatz ist zurückgegangen, der kräftige Körper ist ein bisschen aufgedunsen, dazu die dreckigen Klamotten, die Platzwunde an der Stirn, seine Hand, die grotesk geschwollen ist. Aber er lebt. Er ist lebendig. »Bist du verprügelt worden?«
    Er sieht aus, als schliefe er mit offenen Augen. Ganz langsam dreht er den Kopf in ihre Richtung. »Ist das dein Freund?«, fragt er und nickt zu Thomas herüber. Thomas und Valerie setzen im gleichen Moment zu sprechen an, Valerie fragt: »Willst du was trinken?«, aber Thomas sagt: »Wir kennen uns. Ist schon eine Weile her, aber Sie haben mich schon mal gesehen. Bei meinem Vater in der Bank.«
    Langsam nickt ihr Stiefvater, während Valerie ein Glas nimmt und es voll Wasser laufen lässt und es ihrem Stiefvater gibt und überhaupt keine Idee hat,   warum   sie das eigentlich tut, denn ihr Stiefvater hat ja gar nicht um Wasser gebeten, und Valerie hält es eigentlich auch für völlig unüblich, den Wünschen des Stiefvaters vorauseilenden Gehorsam entgegenzubringen, also nimmt sie ihm das Glas wieder weg und schüttet den Inhalt in die Plastikpflanze auf der Anrichte neben sich.
    »Hast dich nicht verändert«, bemerkt Bernhard durchaus trocken. Das Problem ist nämlich nicht, dass Bernhard keinen Humor hat. Das Problem ist vielmehr, was er daraus macht. Man kann seinen Humor darauf verwenden, als Witzbold oder als Arschloch Karriere zu machen. Jetzt sagt Bernhard, der sich zwischen diesen beiden Möglichkeiten schon immer ziemlich klar festgelegt hat: »Richtig, du bist Johanns Sohn. Ups.«
    Valerie versteht das mit dem »Ups« nicht ganz, außer man interpretiert es so, dass Bernhard die Situation nicht sonderlich ernst nimmt. Sie ist aufgeregt, sie spürt den Herzschlag in ihren Ohren:   Das da ist Bernhard . Thomas sagt jetzt wie in einem Fünfziger-Jahre-Schwarzweißkrimi, wo die Leute ihre Pistole   Schießeisen   nennen und aus der Hüfte auf die Leute zielen, anstatt, wie das heute üblich ist, die Knarre am ausgestreckten Arm und schräg zu halten, was allerdings genau genommen, denkt Valerie, auch schon wieder over the top ist, aber jetzt hat sie leider verpasst, was Thomas gesagt hat, und Bernhard antwortet: »Ich schätze schon.«
    Und Thomas: »Und?«
    Und Bernhard: »Und was?«
    Und Thomas: »Na: Was jetzt?«
    Und Bernhard: » Du   bist doch den weiten Weg

Weitere Kostenlose Bücher