Gibraltar
habe!«
»Vergiss es. Ich wollte gar nicht davon anfangen.«
»Hast du aber. Und du glaubst mir immer noch nicht.« Er hat das natürlich aus reiner Berechnung gesagt, denkt sie, jetzt schon wieder den Tränen nahe (wieso geht das eigentlich immer so schnell?), all die Jahre haben sie nicht darüber gesprochen, nicht mal im schlimmsten Streit; warum sollte er jetzt davon anfangen? Sie ist froh, dass sie die ganze Zeit über auf der Hut war, auch wenn es wieder mal nichts genützt hat und sie trotzdem in die Falle gegangen ist, aber wenigstens ist sie jetzt still, kein Mucks mehr, Valerie, hörst du?
Eine Weile sagt niemand von ihnen etwas. Dann: »Das hat gutgetan«, wobei er auf die leere Pizzaschachtel deutet. Sie anlächelt. Sie geht nicht darauf ein. Er lächelt noch mal, es ist kein fieses Lächeln. Er sagt: »Dein Freund ist aber ein bisschen alt für dich, hm?«
»Er ist nicht mein Freund.«
»Okay. Er ist trotzdem ein bisschen alt für dich. Wenn er dein Freund wäre.«
Sie steht auf. »Sonst noch was?«
»Warte, warte. Ich möchte dir sagen, dass ich weiß, dass vieles in den letzten Jahren ziemlich ungünstig zwischen uns gelaufen ist.«
»Was wird das denn jetzt?«
»Nein, bitte. Lass mich ausreden, ich mein’s ernst. Ich hab ne schlimme Zeit hinter mir. In den letzten Tagen hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Ich hab … manchmal hatte ich das Gefühl, verrückt zu werden. Es sind ein paar schräge Sachen hier passiert. Wirklich schräge Sachen. Ich will … ich will mich bei dir entschuldigen. Ich glaube wirklich, dass wir … ich weiß nicht … versuchen sollten, noch mal von vorne anzufangen.«
Und weil Valerie nicht zu den jungen Frauen gehört, denen man nur ein paar säuselnde Worte des Bedauerns ins Ohr träufeln muss, um den ganzen Scheiß ungeschehen zu machen, verschränkt sie die Arme und sagt: »Was es auch ist, die Antwort ist nein.«
7
»Es ist so schrecklich heiß «, sagt ihre Mutter und fächelt sich Luft zu, aber mal ehrlich, das Thermometer steht auf 23 Grad, was wirklich nicht übertrieben heiß ist. Inzwischen ist es früher Abend, unten im Hostal hat das Restaurant aufgemacht. Ihre Mutter ist seit knapp einer Stunde hier. Das klingt, als sei das noch nicht allzu lang, aber trotzdem kennt Valerie inzwischen jede einzelne Minute bei ihrem Spitznamen. Eine Begründung, wieso genau ihre Mutter hier ist, beziehungsweise wie sie eigentlich hergekommen ist, kann das natürlich nicht ersetzen. Vielleicht ist Thomas deswegen auf die Idee mit dem Essen gekommen.
Wenn es nach Valerie ginge, hätte zur Kontaktpflege das kurze Telefonat durchaus gereicht, das sie draußen auf der Plaza mit Carmen geführt hat. Das kurze Telefonat ging ungefähr so:
»Wieso sagst du mir denn nicht, dass du in Spanien bist?«
»Warum sollte ich?«
» Warum? – Ich hätte mitkommen können.«
»Da träumst du von.«
»Valerie, spinnst du? Wir reden hier über meinen Ehemann !«
»Ich weiß, über wen wir reden, geh mir nicht auf den Keks.«
»Ist Herr Alberts bei dir? Ich möchte noch mal mit Herrn Alberts reden.«
Und so wahnsinnig viel mehr hatten sie sich auch seit ihrer Ankunft nicht zu sagen.
Am Donnerstag einer Vorsaison scheint man in einer Billigabsteige der hässlichsten Stadt der Welt nicht unbedingt reservieren zu müssen, jedenfalls ist das Restaurant des Hostals noch nicht mal offiziell geöffnet, obwohl der Wirt sich gerade irgendwas um die Hüfte gebunden hat, was wie ein blutiger Arztkittel aussieht. Dem Mann wachsen die Schnurrbarthaare nach oben in die Nase, das kann kein gutes Zeichen sein. Valerie spürt: Das hier wird nicht lange gutgehen. Ihre Mutter fächelt sich mit der Speisekarte Luft zu, und das Gefühl, bis in die Fingerspitzen unter Strom zu stehen, lässt sich nur dadurch ein wenig beherrschen, indem Valerie eine Zigarette nach der anderen dreht. Es ist völlig absurd , es gibt nichts zu reden, obwohl wiederum alles einmal gesagt werden müsste.
»Hast du hier ein Zimmer?«, fragt ihre Mutter Bernhard, aber Bernhard sieht sie nur an und scheint sich nicht entschließen zu können, ob er den Kopf schütteln oder ihr gleich eine knallen soll. All die Feindseligkeit, die Valerie zwischen ihnen gespürt hat in den vergangenen Jahren, ohne dass irgendjemand das dazugeschrieben hätte, ist jetzt greifbar, man sieht sie in der Luft wabern wie Hitzeflimmern. Und obwohl sie sich gerade erst gesetzt haben, geht Valerie jetzt raus,
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