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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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wir jetzt wieder rein, und du überweist das Geld zurück.«
    »Das geht nicht.«
    »Ach so. Und warum nicht?«
    Ein letzter Zug aus der Zigarette, Kippenwegschnippen. »Das Kapital ist ein scheues Reh.«
    »Sagt wer?«
    »Karl Marx.«
    Thomas, das sieht sie, möchte gern was dazu sagen, weiß aber nicht was, und sosehr sie Bernhards Arroganz auch ankotzt, so froh ist sie darüber, dass Thomas das jetzt mal live miterleben darf, man kann ja immer viel erzählen.
    »Du scheinst das nicht zu …«, beginnt Thomas, aber Bernhard unterbricht ihn und fragt sie: »Was machst du hier, Valerie? Mit ihm?«
    »Er hat mich mitgenommen, weil ich geglaubt habe, dass du tot bist.« Früher gab es mal ein Wort dafür, Valerie, nämlich   töricht , was so viel bedeutet wie: Was hast du dumme Gans ihm jetzt die ganze Geschichte aufs Brot zu schmieren, wo er doch auf nichts, was er dich überhaupt fragen kann, eine Antwort verdient hat?
    Bernhard sieht sie überrascht an, aber nur eine Sekunde lang. Irgendwas daran scheint er lustig zu finden, und sie weiß: Das tut er auch. Er blickt zwischen den beiden hin und her wie jemand, der ziemlich geübt darin ist, Verbindungen zu entdecken. »Wie süß.«
    Sofort ist mit aller Gewalt wieder ihre Wut da, wie auf Knopfdruck, Wut gegen die Überheblichkeit, mit der er alles, was sie tut und je getan hat, in den Dreck zieht. »Das kannst du ruhig glauben, du Arsch. Thomas, sag ihm –«
    Dann klingelt Thomas’ Telefon, und er geht ran und lauscht eine Weile mit offenem Mund. Er hält das Mikrofon zu und sagt dann leise zu ihr: »Es ist deine Mutter.«
    Dass sie Bernhard ein Stück von der Pizza vorbeibringt, die Thomas geholt hat, ist etwas völlig anderes, als ihm ungefragt ein Glas Wasser anzubieten. Sie weiß nicht genau, worin der Unterschied besteht, aber es   gibt   einen Unterschied, und zwar einen großen. Das Zimmer, das sich Bernhard genommen hat, ist auf demselben Flur. Sie klopft. Bernhard öffnet mit einem Handtuch um die Hüften, das Blut ist abgewaschen, er sieht beinahe aus wie ein richtiger Mensch.
    »Das ist nett«, sagt er und bittet sie hinein wie den Zimmerservice. Draußen ist es windig geworden, vor seinem geöffneten Fenster bauscht sich die Gardine, man hört Verkehrslärm. Ein bisschen, denkt Valerie, während sie in Bernhards Zimmer steht und Bernhard sich halb nackt über die Pizza hermacht, könnte sie sich jetzt so fühlen wie in   Außer Atem , Michel und Patricia auf der Flucht durch Paris, bevor Patricia Michel am Schluss verraten wird, aber erstens ist Bernhard nicht ihr Geliebter, zweitens sind sie nicht in Frankreich, und drittens ist der Film scheiße.
    »Noch mal ganz genau: Weswegen bist du hier?«, fragt Bernhard sie plötzlich. Es klingt nicht kalt und berechnend, sondern wie eine ernst gemeinte Frage.
    »Weil«, sagt sie und weiß nicht weiter. Die Wahrheit sagen? Welche? Und warum sofort dein Herz ausschütten, Valerie, nur weil er mal ein bisschen freundlich ist. Er kann ja auch nett sein, das wusstest du schon vorher, aber Vorsicht, Valerie, Vorsicht. Wenn man nicht vorsichtig ist bei Bernhard, dann wird man wie deine Mutter. »Hab ich doch gesagt.«
    »Ja, ich hab’s aber nicht genau verstanden.«
    »Weil ich gedacht habe, du …« Es erscheint ihr plötzlich sicherer, nicht nur nicht die Wahrheit, sondern lieber gar nichts mehr zu sagen, bei Bernhard weiß man nie. Doch dann sagt er nur: »Danke.«
    »Was?«
    »Danke. Ich hätte nicht gedacht, dass du so etwas für mich tun würdest. Dass du dir solche Sorgen machst. Das ist sehr …« Er spricht nicht weiter, vielleicht weil jetzt   berührend   oder   bewegend   kommen müsste. Sie ist ohnehin geschockt, für seine Verhältnisse war das ein Gefühlsausbruch, sie kann sich dem gewaltigen Gefühl der Dankbarkeit, das sie unvermittelt empfindet, nicht entziehen, und irgendwie ist das ekelhaft. Ist das nicht irgendwie ekelhaft? Aber keine Sorge, es geht noch weiter: »Weißt du, du musst nichts wiedergutmachen bei mir, Valerie.«
    »Was, wie kommst du … Ich will überhaupt nichts …«
    »Umso besser. Schon gut.«
    »Glaubst du, das hat irgendwas   damit   zu tun?«
    »Ich glaube gar nichts«, das jetzt schon wieder gönnerhaft, und sie weiß nicht recht, ob sie es mit viel Wohlwollen als ernsthaftes Friedensangebot oder doch lieber als Provokation empfinden soll, und vorsichtshalber entscheidet sie sich mal lieber für Letzteres. »Er war ganz kalt, als ich ihn hochgehoben

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