Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
Vom Netzwerk:
Valerie an und säuselt: »Wo schläfst du denn heute Nacht, Valerie?«
    Valerie kommt es ziemlich offensichtlich vor, dass sie mit der Frage gar nicht sie, sondern Bernhard meint, also antwortet Valerie nur mit einem Schulterzucken. Dann sagt wieder keiner was, deshalb sagt Valerie: »Was ist das denn eigentlich für eine bescheuerte Frage?« Worauf Bernhard sein typisches Ich-hab’s-ja-schon-immer-gesagt-Lächeln aufsetzt und den Kopf schüttelt, ohne dabei irgendwen anzusehen. Dann kommen tatsächlich ein paar Gäste rein, der Kellner ist beschäftigt, aber bezahlt werden muss doch, und Thomas, weil er das einfach am besten kann, fragt mit ziemlich unbefangener Stimme, wer denn eigentlich die Rechnung bezahlen will und so. Da begreift Valerie plötzlich etwas über ihre Mutter, was eigentlich schon immer klar gewesen ist, so klar, dass Valerie bisher nicht so richtig darüber nachgedacht hat: dass ihre Mutter nämlich   überhaupt kein eigenes Geld   hat und genau genommen auch noch nie hatte.

8
    Nachdem ihre Mutter in ihrem Zimmer war, dreht sie sich noch mal um in ihrem Bett und fragt sich, was das jetzt eigentlich alles sollte. Sie hat überhaupt nicht begriffen, weswegen ihre Mutter hier war. Ihr ist nur völlig klar geworden, dass es nicht wegen ihr gewesen ist.
    Schon gestern Abend, als sie den Streit zwischen Valeries Eltern mit anhören mussten, weil die Wände in dem Hostal extrem dünn sind und weil die beiden ziemlich laut gesprochen haben, hat sie dieses Gefühl gehabt: dass alle um sie herum mit etwas ganz anderem beschäftigt sind. Und dass das eigentlich immer so war.
    Genau genommen haben Valeries Eltern nicht nur ziemlich, sondern   extrem   laut gesprochen, also geschrien. Sie hat nicht jedes Wort verstanden, aber es ging unter anderem um die Frage, warum sich Valeries Mutter nur ein kleines Peugeot-Cabrio gemietet hat und nicht ein richtiges Auto. Das sind halt so die Sachen, über die ihre Eltern sich streiten.
    Später, als die beiden laut miteinander geschlafen haben, konnte Thomas natürlich ebenso wenig einschlafen wie sie, und er hat Valerie angesehen im Schein der Straßenlaterne mit einem Blick, als würde er sagen:   Langsam bekomme ich einen Eindruck, Valerie . Und sie hat ihn angelächelt, und er hat zurückgelächelt, und es war schön, endlich einen Zeugen zu haben, der glauben will und kann, was er hört und was er sieht.
    Und aus irgendeinem Impuls sagte Valerie zu Thomas: »Früher habe ich mich dabei selbst befriedigt.« Das war ein Geständnis, noch dazu ein unnötiges, aber sie hatte es gesagt, und es war nicht mehr rückgängig zu machen. Es war, als hätte sie die Peinlichkeit, ihre Eltern belauschen zu müssen, mit einer noch größeren Peinlichkeit über sich selbst übertünchen wollen. Aber irgendwie fühlte es sich auch gut an, das mit Thomas zu teilen, dachte sie; vielleicht würde ihr Thomas dazu sagen, dass sie sich da gar nicht groß schämen müsse, weil sie schließlich damals in der Pubertät war und ganz einfach ihre Sexualität entdeckte und nur das imitierte, was ihre Umwelt ihr vorlebte und so weiter, also ganz einfache Dinge, auf die man im Prinzip auch selbst kommen könnte, wenn man sich nicht so schämen würde. Sie wollte gern mit ihm über all diese Dinge sprechen in der Dunkelheit, so wie man mit einer Freundin, die zum ersten Mal bei einem übernachten darf, bis in den Morgen hinein über Jungs redet und über das Leben und was von alldem zu halten ist.
    Aber dann stellte sie fest, dass Thomas ihr wohl nicht richtig zugehört hatte, beziehungsweise dass er sich einfach nicht für ihr Selbstbefriedigungsding interessierte, sondern stattdessen wissen wollte, was sie am Nachmittag mit Bernhard besprochen hatte.
    »Er hat mich um Hilfe gebeten.«
    Sofort war Thomas hellhörig. »Um Hilfe gebeten? Bei was?«
    »Ich soll ihn nach Gibraltar bringen.«
    Und Thomas hatte sich aufgerichtet, seine Stimme klang nicht mehr nur müde, sondern plötzlich   brennend   interessiert. »Das hat er gesagt? Er will mit dir dahin fahren? Wohin genau?«
    Und Valerie sagte: »Ich habe ihm gesagt, ich lass mich nicht mehr benutzen. Von keinem.«
    »Ja«, hatte Thomas gesagt, »ja, das ist gut …«
    Aber genau genommen war gar nichts gut, weil nämlich Thomas sie nicht etwa mit nach Spanien genommen hatte, um ihr nahe zu sein; genauso wie Bernhard sich nicht bei ihr entschuldigt hatte, weil ihm irgendetwas leidtäte; genauso wenig wie ihre Mutter gerade in ihrem

Weitere Kostenlose Bücher