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Gibraltar

Gibraltar

Titel: Gibraltar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Reh
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Straße hinunterfahren, den Wagen abstellen, irgendwie ins Haus kommen. In eines der Häuser. Er blinzelte. Ungezählte Augenblicke später stellte er fest, dass ihm die Augen zugefallen waren.
    Ein Geräusch schreckte ihn auf. Er sah durchs Fenster, in den Rückspiegel: Da war nichts. Schaltete die 8-Gang-Automatik wieder auf »D« und ließ den Wagen die Straße hinunterrollen. Mit der Bepflasterung des Gehwegs war man nicht sehr weit gekommen, die Steine steckten noch in ihren Verpackungsbändern, säuberlich gestapelt. Aus der gestampften Erde brach Unkraut. Die Siedlung: Palacio-Stil, wie im Prospekt beschrieben. Rundbogenfenster, Galerien, Terrassendächer. Alles, was er sah, war die undeutliche Ahnung von Architektur, irgendwo jenseits der Dunkelheit.
    Hundert Meter weiter fand er eine geeignete Stelle. Zwischen zwei Hauswänden gab es einen Durchgang zum Patio. Darüber wölbte sich ein Dach. Er hielt an, stieg aus und schob den Bauzaun beiseite. An der Hauswand ein verwittertes Schild:   Urbanización Invespania. Información y vente , darunter eine Telefonnummer. Er stellte den Wagen ab, schaltete die Zündung aus, dann das Licht. Saß in absoluter Dunkelheit.
    Einen Augenblick lang wollte er einfach sitzen bleiben und schlafen. Doch er würde eine Scheibe einschlagen müssen. Lärm verursachen. Jetzt war es noch Nacht. Er rieb sich das Gesicht, spürte die Stoppeln an seinen Wangen und seinem Kinn. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
    Leise öffnete er die Tür, stieg aus, tastete sich über den Patio. Der Mond kam hinter den Wolken hervor und spendete etwas Licht, gerade so viel, dass er nicht gegen den Springbrunnen stolperte oder über den Geröllhaufen dahinter. Hinter den Fenstern kein Lichtschimmer. Nichts, was darauf hindeutete, dass jemals Menschen hier gewohnt hatten. Wohnen würden.
    Eine kleine Treppe, der Hintereingang. Hier war es zu dunkel, um etwas zu erkennen. Er schaltete sein Telefon ein. Im Schein des Displays suchte er Türen und Fenster ab. Alles verschlossen.
    Er suchte sich einen großen Stein aus dem Geröll und warf ihn durchs Fenster. Das Klirren schien die Dunkelheit zu zerreißen. Er wartete. Kein Licht fiel auf ihn. Kein Hund bellte. Es war still, bis auf das Knirschen unter seinen Sohlen, als er durchs Fenster stieg und im Haus stand.
    Er tastete und leuchtete sich durch den Flur nach vorne. Zur Straßenseite hin waren die Jalousien heruntergelassen, also wagte er es, den Schalter zu drücken. Einmal, zweimal. Kein Licht.
    Im schwachen Glimmen des Displays sah er: Die Zimmer waren leer. Keine Möbel, keine Küchenzeile, kein Fernseher. Kein Bett. Die Apartments hätten möbliert sein sollen. Er fluchte leise. Vielleicht hatten sie weiter vorne in der Siedlung angefangen. Morgen. Morgen würde er nachsehen.
    Er legte sich auf den blanken Holzboden. Augenblicklich spürte er die Unnachgiebigkeit an Rücken und Kopf. Dann war er eingeschlafen.

2
    Am Montagmorgen hatte sich Bernhard etwa eine Stunde lang zuversichtlich und ruhig gefühlt. Vollkommen fokussiert. Er war der Erste im Handelsraum, es war gerade 7 Uhr. Vor sich auf dem Tisch ein Pappbecher mit einem doppelten Latte macchiato. Er war nicht direkt fröhlich. Mehr eine Angriffslust, die er lange nicht gespürt hatte. Etwas anderes als die Stimmungsakrobatik seines Alltags.
    In der   FAZ   konnte er nachlesen, was er seit Tagen wusste: Die Staatsbanken stoppten den Zukauf von griechischen Bonds, die Zinsen stiegen kontinuierlich. Fitch hatte Griechenland auf Junk heruntergestuft. Dazu die Schlagzeilen: Gigantisches Sparpaket, Massenproteste, Ausschreitungen. Er war überzeugt, dass die reale Verschuldung weit höher lag. Die Spitze des Eisbergs.
    Er zog sein Jackett aus, setzte sich vor seine vier Bildschirme und fuhr das Bloomberg-Terminal hoch. Tippte sein Passwort ein, sah sich die Notationen für Hellenen-Bonds mit drei, fünf und zehn Jahren Laufzeit an. Die Kupons für letztere hatten bei Emittierung zwischen 3 und 4,5 Prozent gelegen, inzwischen war der Marktzins auf über 7 Prozent gestiegen. Der Kurs hatte sich in den letzten Tagen nervös nach oben und unten bewegt. Nicht weit. Der Preis lag zwischen 70 und 72 Prozent, noch würden die Ausschläge gering bleiben. Aber am Ende der Woche wollten die Griechen neues Geld aufnehmen. Die Luft wurde dünn für sie.
    Langsam kamen die ersten seiner Kollegen mit ihren Pappbechern ins Büro. Legten Stapel von Zeitschriften und Papieren auf ihren Schreibtischen

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