Gibraltar
wir hier zusammen in unserer neuen Küche stehen, wenn die Gäste reinkommen. Du hast ein Handtuch über der Schulter, ein Glas Rotwein vor dir, du schneidest mit deinem superscharfen japanischen Messer aus tausendmal gefaltetem Stahl –«
»Hör auf.«
»Das Wasser im Topf köchelt und blubbert, und der Dunstabzug rauscht ganz leise, und im Hintergrund kommt Puccini aus der Anlage.«
»Hör auf, hab ich gesagt.«
»Dazu müsste man natürlich den Herd ankriegen. Und den Dunstabzug.«
»Kauf dir einen Elektriker. Oder Küchenmeister. Was weiß ich. Lass dir von Valerie helfen. Das ist überhaupt ne Idee. Ich finde, Valerie kann auch mal was machen, wenn sie sich schon hier einquartiert.«
»Ich bezweifele, dass Valerie mit einer 60.000-Euro-Küche umgehen kann.«
Er atmete lange aus, versuchte, das Vibrieren in seiner Kehle zu unterdrücken. »Ich interessiere mich nicht für deine alberne Party. Ich hab heute Papiere für 20 Millionen Euro verkauft. Und morgen mach ich das wieder. Und übermorgen wieder.«
»Es ist nicht meine Schuld, dass du so einen langweiligen Job hast, Bernhard.«
»Ich hab Wichtigeres zu tun –«
»Zum Beispiel, dein Ego mit Luxusküchen aufzumöbeln? Ja, das ist wirklich sehr wichtig. Okay, es ist auch ein bisschen armselig, aber wichtig, klar, wichtig ist es auch.«
Er sah sie an. »Es hat keinen Sinn mehr.« Er brauchte nicht weiterzusprechen. Sah es in ihrem Gesicht. Er dachte an das Hotelzimmer, an die exklusive Zufälligkeit ihrer Begegnung. Es gab keine Tür, die sich dabei öffnete. Dies war sein Leben. Dies hier: die Villa in Bad Homburg, die neue Gaggenau-Küche mit Weinklimaschrank und Dampfbackofen, der 52-Zoll- HD -Fernseher mit Surroundsound, der Gursky über dem Sofa. Und die Frau dort im Raum.
3
Als er aufwachte, war es noch immer dunkel, nur aus dem Flur drang ein Lichtschimmer. Er erinnerte sich: Jalousien. Sein Rücken, seine Schultern, alles an seinem Körper schmerzte. Keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Der Boden voller Staubflocken.
Er stand auf und zog die Jalousien ein wenig hoch. Durch den Spalt sah er die verlassene Straße. Holzlatten und Plastikplanen im Morgengrauen, eine primitive Überlandleitung. Er ging ins Bad. Terrakottakacheln und vergoldete Wasserhähne, aber kein Wasser.
Im Spiegel sein entgeistertes Gesicht. Auf seiner Zunge ein Geschmack wie von einem verwesenden Marder.
Er holte den Wagen und stellte ihn im Patio ab, damit man ihn von der Straße aus nicht sehen konnte. Untersuchte seine Vorräte. Er hatte noch zwei Flaschen Wasser und ein paar Schokoriegel. Er aß zwei davon, schluckte eine Effexor und klappte sein Notebook auf. Steckte den Surfstick, den er in Frankreich gekauft hatte, in die USB -Buchse. Googelte seinen Namen. Fand nichts. Dafür hatten die Kurse für Hellen Rep 5 und 10 kräftig zugelegt. Er wusste es schon, dennoch durchfuhr ihn ein Stich. Schlechtes Timing. Sie würden weiter steigen, der Short Squeeze war in vollem Gange. Er googelte Alberts: Auch hier noch keine Meldungen. Es war Sonntag. Spätestens morgen würde etwas nach außen dringen. Sie mussten die Papiere zu 110, vielleicht zu 120 Prozent zurückkaufen. Es würde schlimm werden.
Er ging auf die Startseite der Banque de Suisse, gab die Zugangsdaten ein und spürte seine Aufregung. Das Geld konnte noch nicht angekommen sein. Die Verbindung war langsam, die Seite baute sich nur schichtweise auf: das Logo der Bank, die Hintergründe, zuletzt die Kontodaten.
Das Geld war noch nicht da.
Ganz normal, sagte er sich und versuchte, seinen Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Simon hatte es überwiesen, es hing irgendwo in den digitalen Korridoren fest und suchte die richtige Tür. Nur noch ein oder zwei Tage, dachte er. Ein oder zwei Tage.
Er googelte einen Supermarkt. Kurz vor Gibraltar gab es einen großen Carrefour, der auch sonntags geöffnet hatte.
Draußen, jetzt bei Tag, wirkte die Siedlung noch trostloser als in der Nacht. Weit und breit kein Mensch, kein Auto, gar nichts. Die Straße fiel zur Küste hin leicht ab. Ganz hinten eine kleine Ortschaft, auch diese niemals bezogen. Er sah auf die andere Straßenseite: Baugrund. Aus der dunklen Erde ragten Entwässerungsschläuche, rot wie durchtrennte Arterien. Er schloss die Augen. Etwas – das Meer oder sein eigenes Blut – rauschte in seinen Ohren.
Zehn Minuten später fuhr er auf der A7 Richtung Gibraltar, die Fenster verschlossen gegen die aufkommende Wärme. Links und
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