Gibraltar
ab, verpackte Brote, Äpfel, Bananen. Bernhard grüßte, klemmte sich ans Telefon, ließ sich von der Fixed-income-Abteilung und externen Brokern Kurse stellen, verschickte Mails ohne Pause. Hörte sich reden, sah sich tippen, dies alles automatisch, ohne sein Zutun.
Gegen Mittag rief Simon aus dem Backoffice an. Vergewisserte sich, ob Bernhard bei den Volumina kein Fehler unterlaufen sei. Zehn Millionen, das sei sein Limit, er liege drüber.
»Ist schon okay«, sagte Bernhard. »Alles unter Kontrolle.«
»Ich weiß nicht, Bernhard –«
»Ich mach das jetzt so«, sagte er. Er würde mit Johann sprechen müssen. Später.
Als er am Abend nach Hause kam, saß Carmen am Tresen der neuen Küche und blätterte in einer Architekturzeitschrift. Sie sah auf, sagte etwas. Bernhard ging hinüber zur Sitzgruppe, schaltete den Flachbildfernseher an, drehte das Dolby-System so laut, dass er sofort mitten im Gefecht stand.
Sie stellte sich ins Bild, sagte in das Sperrfeuer und die Granatenexplosionen hinein: »Ich möchte das aber jetzt gern mit dir besprechen, Bernhard.« Er antwortete nicht.
Sie schaltete den Ton aus, plötzlich war es still, sie war überall in seinem Blickfeld. Unmöglich, an ihr vorbeizusehen. Was er spürte – wenn er etwas spürte –, spürte er nur schwach, er hatte schon seine Effexor geschluckt. Die grellen Farben ihres Kostüms, die Exaltiertheit der Ohrringe, das Fordernde ihrer Stimme erreichten ihn kaum. Zu viel Strecke zwischen ihnen.
»Möchtest du etwas essen?«
Er antwortete nicht, sah wieder auf den Bildschirm, bearbeitete sein Controlpad. Eine stumme Salve streckte ihn nieder.
»Möchtest du etwas essen?« Ihre Stimme. Die immer gleiche, monotone Ungerührtheit darin. Die aggressive Heiterkeit.
»Hab in der Stadt gegessen.«
»Aha. Ach so.«
Er achtete nicht auf den Vorwurf. Versuchte, nicht darauf zu achten. Es klappte nicht. »Was denn? Hast du gedacht, jetzt ist wieder alles in Butter? Hast du gedacht, wir fangen jetzt noch mal so richtig schön von vorne an, wir zwei? Hm?«
Sie versuchte, es wegzulächeln. Sein Puls ging schneller.
»Ich habe nur gedacht«, sagte sie, »dass es nicht alltäglich ist, was wir erlebt haben. Dass es etwas Wunderbares –«
»Hör auf. Ich kann das nicht hören.« Er versuchte, an ihr vorbei ein neues Spiel zu laden.
»Etwas Wunderbares ist. Solche Zufälle würden nicht geschehen, wenn sie nicht etwas bedeuten würden.«
Er sagte nichts.
»Meinst du nicht auch?«
Er sagte nichts.
Sie versperrte ihm wieder die Sicht.
Er beugte sich nach links. »Das Leben ist kein scheiß Roman«, sagte er zu Sergeant Cooper.
»Manchmal ist es mehr als das, Bernhard. Viel mehr.« Diese widerliche Bedeutsamkeit: nichts als eine Behauptung.
»Du glaubst wirklich, dass es etwas ändert, oder?« Er versuchte, es so abschätzig wie möglich klingen zu lassen. Setzte sich ans andere Ende des Sofas.
»Das tut es, Bernhard. Du wirst sehen. Es ist gerade zwei Tage her. Vielleicht hast du es noch gar nicht verarbeitet.«
»Jaja. Genau. Werd auch noch ein paar Jahre dafür brauchen.«
»Wir müssen etwas daraus machen. Es ist ein … Geschenk.«
Er sagte nichts mehr. Es hatte keinen Sinn. Sie würde in jedem Wort den Hinweis finden, den sie suchte.
»Gut, dass wir uns die neue Küche gekauft haben«, bohrte sie weiter. Jetzt war Provokation an der Reihe. »Was würden wir nur ohne unsere neue Gaggenau-Küche tun?«
»Du wolltest eine neue Küche«, sagte er, ohne aufzusehen.
»Mit der Betonung auf Küche, Bernhard. Keine Raumstation, die niemand bedienen kann. Wenn wir Mittwoch meine Freunde aus dem Verlag hier haben –«
»Bin ich nicht da.«
»Wir haben das abgesprochen, Bernhard. Du kannst nicht einfach wegbleiben.« Er lächelte nur müde. Das Spiel hatte angefangen und war schon wieder vorbei. Landmine.
»Ich weiß nicht, wie die Küche funktioniert. Das ist dein Job«, sagte sie.
Er ließ das Controlpad sinken und lehnte sich nach hinten. Schloss die Augen. »Den letzten Satz hab ich nicht richtig verstanden.«
»Bernhard, ich wollte eine Küche haben, die von A bis Z auf meine Bedürfnisse zugeschnitten ist.«
Er lachte. Es kam heraus wie ein Schwall Kotze, so plötzlich, dass man sich nicht mehr die Hand vor den Mund halten kann. Säure in seinem Rachen.
»Ich möchte mich vor diesen Leuten nicht blamieren«, sagte sie ungerührt.
»Schade. Warum eigentlich nicht?«
»Ich möchte, dass wir das Essen gemeinsam vorbereiten. Dass
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