Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
lau?«
Zerstreut betrachtete Tess ihr Glas. »Was soll ich sagen? Bernd hat irgendwie – nur mitgemacht. Da war kein Feuer, nur Sparflamme. Die Lederkorsage hat ihn gar nicht groß interessiert. Wahrscheinlich reicht es nicht, sich einfach so ein Teil anzuziehen, um etwas Neues zu erleben. Du kannst ja auch nicht einfach so Joachim mit Handschellen ans Bett fesseln. Oder ihm kommentarlos diesen komischen Fetisch-Knebel zwischen die Zähne schieben. Da muss schon die Inszenierung stimmen.«
»Was für deine Theorie spricht, dass wir die Sachen mal im professionellen Einsatz sehen sollten.«
Tess trank einen Schluck. »Jetzt komm erst mal wieder auf die Beine.«
Wenn bloß Marc nicht wäre, dachte Anne. Als er ein zweites Mal in der Praxis aufgetaucht war, hatte er etwas gesagt, was ihr nicht mehr aus dem Kopf ging: »Früher oder später wirst du in meinen Armen liegen.«
Kapitel vier
»Mami, Mami, guck doch mal, ich habe ein Boot gebastelt!«
Freudestrahlend kam Lars auf Anne zugelaufen und schwenkte ein Stück gefaltetes, bemaltes Papier, das entfernt an – ja, an was eigentlich? – erinnerte. Der Kindergarten sah aus, als hätte es Papierschnipsel geregnet. Tische, Stühle und Boden waren von buntfarbigen Fetzen übersät. Dazwischen standen Mütter und Väter, die ihre kleinen Lieblinge abholten. In der »Villa Sonnenschein« war die Welt in Ordnung. Eine Insel der Sorglosigkeit.
»So ein schönes Boot!«, lobte Anne ihren Sohn. »Toll gemacht, mein Großer.«
Sie wollte schon mit ihm zum Wagen gehen, als Frau Landmann ihr ein Zeichen gab. »Könnten wir kurz reden?«
»Kein Problem. Was gibt’s denn?«
Frau Landmann hockte sich neben Lars. »Würdest du bitte noch mal ins Kuschelzimmer gehen und den Goldhamstern Futter geben? Bei der Gelegenheit könntest du ihnen auch frisches Stroh in den Käfig legen.«
»Mach ich!«, rief Lars.
In diesem fabelhaften Kindergarten gab es nämlich eigens ein Zimmer voller großer und kleiner Kissen, in dem die Kinder sich zwischendurch ausruhen konnten. Und damit sie auch wirklich ruhig blieben, gab es darin einige Tiere, die man mit feinmotorischer Sorgfalt behandeln musste. Frau Landmann nannte es ein »meditatives Konzept der Zuwendung«.
Als Lars außer Hörweite war, legte sich die sonst so heitere Stirn der Erzieherin in Falten. »Ihr Sohn hat heute ein Wort benutzt, das mich, nun ja, sehr beunruhigt hat.«
In Annes Hinterkopf begann es zu rumoren. »Welches Wort ist es denn?«
»Elotisch«, antwortete Frau Landmann. »Was ja wohl eine kindliche Variante von ›erotisch‹ ist.«
Was bist du aber auch für ein Dämlack, beschimpfte sich Anne innerlich.
Die Erzieherin knabberte an ihrer Unterlippe. »Könnten Sie mir mal bitte verraten, wie ein Fünfjähriger auf so ein Wort kommt?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Anne, ihr unschuldigstes Lächeln aufsetzend. »Vielleicht von den anderen Kindern?«
»Ausgeschlossen. Er hat es als Erster verwendet, auf der Toilette.« Frau Landmann sah jetzt richtig ungehalten aus. »Lars hat sich mit Timo gestritten. Und dann laut gerufen: Du hast einen ganz, ganz elotischen Piephahn!«
Das ergab einen Sinn. Lars ging davon aus, dass elotisch so viel wie winzig bedeutete. Schon kleine Jungs wussten offenbar, wie die Männerwelt tickte: Jeder wollte der Größte sein und den Größten haben. Dummerweise konnte Anne die Sache nicht aufklären, ohne zuzugeben, dass Lars das Wort zu Hause aufgeschnappt hatte.
»Na, so was«, gab sie mit gespielter Verwunderung von sich.
»Wir achten hier sehr auf diese Dinge«, sagte Frau Landmann streng. »Sieht Lars unbeaufsichtigt fern? Hat er Zugang zum Internet?«
»Nein, nein, er darf nur das Kinderprogramm anschauen, und der Computer ist tabu.«
»Das will ich auch hoffen.« Die Erzieherin zupfte sich ein paar Papierschnipsel von ihrem Wollpullover in ökologisch korrektem Beige. »Ich will keinen Ärger mit den anderen Eltern.«
»Dafür haben Sie mein vollstes Verständnis!«, strahlte Anne.
Frau Landmanns Gesichtsausdruck blieb skeptisch. »Ich muss Sie eindringlich bitten, zu kooperieren. Dann noch einen schönen Nachmittag.«
Und jetzt? Sollte Anne noch einmal mit Lars darüber sprechen? Besser nicht, überlegte sie. Je mehr du die Sache aufbauschst, desto interessanter wird dieses verdammte Wort.
Sie ging in das Kuschelzimmer, das ganz in sanften Rottönen gehalten war: rote Wände, roter Teppichboden, Dutzende von Kissen in allen erdenklichen Rotschattierungen.
Weitere Kostenlose Bücher