Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
Dann kippte sie um.
Das Erste, was Anne nach einer ausgedehnten Reise durch unendliche Schwärze wahrnahm, war ein fremder Mann, der sich über sie beugte. Er war von Kopf bis Fuß in grelles Orange gekleidet. Mit sachlicher Stimme erläuterte er irgendetwas. Zuerst verstand Anne nur einzelne Wörter, »Blutdruck«, »Wetterumschwung«, »Hypertonie«.
Mit äußerster Willensanstrengung konzentrierte sie sich auf die Stimme.
»… ja, ihr Puls ist noch schwach, aber ich habe ihr ein Kreislaufmittel gespritzt. Sollen wir sie mit ins Krankenhaus nehmen?«
»Wenn ich das wüsste.« Eine weibliche Stimme. Die Stimmevon Tess. Das dazugehörige Gesicht schwebte etwas verschwommen neben dem Farbrausch in Orange. »Ich glaube, sie ist wieder zu sich gekommen.«
Jetzt erst merkte Anne, dass sie hinter dem Tresen lag. Man hatte ihren Kopf auf einen Stapel Papierservietten gebettet.
»Name?«, fragte die Männerstimme.
Tess hüstelte nervös. »Anne Westheimer.«
»Frau Westheimer! Können Sie mich hören?«, rief der Mann jetzt übertrieben laut.
»Hmja«, murmelte Anne.
»Wie geht es Ihnen?« Offenbar war es ein Sanitäter, der neben ihr kniete. Um seinen Hals hing ein Stethoskop.
»Geht so.«
»Frau Westheimer, sie hatten eine Ohnmacht. Ist das schon öfter vorgekommen?«
Anne versuchte, sich aufzusetzen, was gründlich danebenging. »Nee, und ich verstehe auch gar nicht, wie das passieren konnte.«
Der Gesichtsausdruck des Mannes wurde streng. »Wann haben Sie zuletzt was gegessen?«
Anne dachte nach. »Vorgestern.«
Der Sanitäter tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit Tess. »Total unterzuckert.« Er wandte sich wieder Anne zu. »Haben Sie in den letzten vierundzwanzig Stunden Alkohol getrunken, Frau Westheimer?«
»Sie trinkt so gut wie nie was«, warf Tess ein.
Anne konnte ein hysterisches Kichern nicht unterdrücken. »Hab, hihi, gestern Abend eine Flasche Schampus und eine Flasche Rotwein vernichtet. Mit Grund!«
»Schnecke!« Tess war außer sich.
»Der Alkohol beschleunigt die Unterzuckerung. Damit hat sich das Thema Krankenhaus wohl erledigt«, sagte der Sanitäter, während er aufstand. »Bringen Sie die Dame am besten nach Hause, damit sie sich erholt. Und besorgen sie ihr etwas zu essen.«
»Wir haben heute Nudelsuppe!«, mischte sich der Barmann ein. »Wenn sie will, kann sie auch einen Rollmops haben. Ist ein klasse Katerfrühstück.«
»Nudelsuppe«, flüsterte Anne.
Sie startete einen neuen Versuch, sich zu erheben. Dieses Mal klappte es, mit Unterstützung von Tess und dem vergnügt feixenden Sanitäter.
Anne wusste ja selbst, wonach das Ganze aussah: nach einer Schnapsleiche, die in die Ausnüchterungszelle gehörte. So viel zum Thema Joachim braucht eine Frau, mit der er repräsentieren kann.
Zwei Minuten später saß sie etwas windschief an einem Tisch im »Benny’s« und löffelte ihre Suppe. Nur den Rollmops ließ sie weg. Schon der Gedanke an einen stinkenden, kleinen Fisch, der um eine Essiggurke gewickelt war, verursachte ihr Brechreiz.
»Du bist weiß wie die Wand«, sagte Tess, die ihr grübelnd zusah und an einem Glas Prossetscho nippte. »Ich habe schon in der Praxis Bescheid gesagt, dass du einen Schwächeanfall hattest. Bist du sicher, dass du nicht nach Hause willst?«
»Absolut sicher. Es geht mir viel, viel besser, wirklich.«
Das war zur Abwechslung nicht geschwindelt. Die Suppe tat gut. Erleichtert spürte Anne, wie ihre Lebensgeister zurückkehrten.Es war ziemlich unvernünftig gewesen, so wenig zu essen und dann auch noch Champagner und Rotwein in den leeren Magen zu gießen.
»Also, ich bin bedient«, seufzte Tess. »Du hast mir einen Heidenschreck eingejagt, vor und nach deiner Ohnmacht. Sag mal, wenn du gestern so kräftig geladen hast – könnte es sein, dass der Sex mit Joachim nur ein Produkt deiner alkoholvernebelten Phantasie war?«
»Frag ihn doch selber«, antwortete Anne schnippisch. »Wir haben es getan, so wahr ich hier sitze. Und die neue Wäsche war ohne jeden Zweifel der entscheidende Kick. Wir sind auf dem richtigen Weg, Tess. Langeweile ist der Feind der Erotik.«
Sie schaute einem jungen Paar zu, das im hinteren, schummrigen Bereich des Lokals saß und ungeniert knutschte. Bestimmt kannten sie sich erst ganz kurz. Da war alles noch ganz simpel, man brauchte keine Tricks und keine Geheimstrategien.
»Männer sind wie Waschmaschinen«, philosophierte Anne. »Wenn du sie anmachst, drehen sie durch. Wieso war es denn bei dir so
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