Gib's mir
Menge der Souvenirläden und Eisstände an der Promenade sind schon geschlossen, genauso wie ziemlich viele Cafés. Unter den Arkaden sieht man bereits mehr heruntergelassene Metallrollgitter als geöffnete Türen. Nur manche Restaurantbesitzer stellen noch unverdrossen Tische und Stühle nach draußen, obgleich dort niemand mehr sitzt.
Von Brighton geht zu dieser Zeit des Jahres eine sehr melancholische Stimmung aus; wie von einem Clown, der keine Freunde hat.
Ich ließ meinen Teebeutel in den Aschbecher fallen und wandte mich wieder Ilya zu. «Und wie kriegst du die … die Dinger eigentlich nach England? Werden sie zwischen irgendwelchen anderen Sachen versteckt?»
Ilya zündete sich eine Zigarette an. «So ähnlich», murmelte er. «Man kann die Kisten einfach legaler Ware beipacken.»
«Und was für legale Ware ist das?»
Er fuhr sich mit dem Fingerknöchel über seinen Nasenrücken. «Eigentlich wirklich alles. Kommt drauf an, mit wem ich gerade zusammenarbeite und wie wir die Dinge organisiert haben. Verderbliche Waren sind gut, du weißt schon, Blumen, Gemüse. Die Sachen werden verplombt, sehr schnell transportiert, sodass der Zoll nicht sehr viel Zeit hat, darin herumzustochern. Oder es kann auch Holz sein oder … wie beim nächsten Mal, wo wir einen großen Auftrag einer Ladung Maschinenteile beifügen.»
«Herrje», sagte ich leise. «Ich kann das einfach noch gar nicht alles in meinen Kopf kriegen. Es ist … Plötzlich ist so viel Metall in meinem Leben. Und das passt gar nicht zu meinem Leben. Das ist irgendwie weicher. Und wir sind hier in Brighton. Ich weiß schon, dass die Stadt nicht nur aus Zuckerwatte und Schmalzgebäck besteht, aber …»
Ich verstummte.
«Ich hatte mir mein Leben auch nicht so vorgestellt», erklärte Ilya gereizt. «Es ist nicht so einfach, wenn du immer einen Blick über die Schulter nach hinten werfen musst, da du niemandem außer dir selbst trauen kannst. Wenn du dich jeden Tag fragen musst, ob heute der Tag gekommen ist, an dem dich dein Glück verlässt. Das ist verdammt beschissen. Aber es ist nichts, was man mal eben so ändern kann. Und die Beute dabei ist gut. Ich verdiene eine Menge Geld damit. Das Problem ist bloß, dass alles in Grundstücken und Geschäften angelegt ist. Da hab ich nicht mal eben dreißigtausend flüssig.»
Zwischen uns breitete sich zäh sorgenvolles Schweigen aus.
Ilya sog heftig an seiner Zigarette und sagte dann: «Schau, Beth, ich weiß, ich habe dir versprochen, ehrlich zu dir zu sein, aber wahrscheinlich ist es das Beste, wenn du nicht allzu viele Einzelheiten kennst. Das ist besser für deine Sicherheit und auch für meine.»
«Ich bin nur neugierig», erwiderte ich mürrisch. «Und da ich ja mitten in diesem Schlamassel drinstecke, verdiene ich doch vermutlich ein wenig Einblick in die Umstände. Ich meine, das, worum du mich bittest, erfordert immerhin eine ziemlich tiefgreifende Entscheidung.»
«Ja, das stimmt», gestand Ilya ein. «Tut mir leid.»
«Wirst du eigentlich zurück in deine Wohnung ziehen?», fragte ich und versuchte damit ein bisschen vom eigentlichen Thema abzulenken. «Jetzt, wo Tony dich gefunden hat, besteht doch eigentlich kein Grund mehr, sich weiter in der Pension zu verstecken, oder?»
«Schon, aber ich habe das Gefühl, ich bin irgendwie sicherer hier. Es ist öffentlicher. Und außerdem liegt meine Wohnung zu dicht an deiner. Ich fände es überhaupt nicht komisch, wenn Tony mit einer seiner kleinen Erinnerungen bei mir hereinplatzen würde, gerade wenn wir zusammen sind.»
«Nun, ich müsste dich ja nicht in deiner Wohnung besuchen. Du könntest ja zu mir kommen.»
Ilya zuckte mit den Schultern. «Das würde Tony herausbekommen. Er findet immer alles raus.»
«Aber wirst du denn zurückziehen, wenn das alles irgendwann vorbei ist? Was ist mit deinen Klamotten? Zahlst du weiter Miete? Sonst könntest du deine Sachen auch solange bei mir –»
«Beth, bitte», unterbrach mich Ilya mit einer Spur von Verzweiflung in der Stimme. «Im Moment kann ich nicht weiter als ein paar Tage im Voraus denken. Außerdem gibt’s in meiner Wohnung kaum etwas, das zu behalten sich lohnen würde. Ich habe mitgenommen, was ich brauche, als ich nach Prag aufbrach.» Er lächelte. «Der Fernseher und das Videogerät waren das Beste, was noch da war. Oh, und die ‹Anal-Jungfrau›-Kassette selbstverständlich.»
«Wo ist die überhaupt?», fragte ich müde. «Bei Tony?»
«Hmmm», bestätigte Ilya. «Aber
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