Gib's mir
Schultern.
«Tausende und Abertausende», sang Tony. «Tausende und Abertausende.»
Kapitel zwölf
Tony hatte übertrieben. Natürlich hatte er das getan. Ilya belieferte doch keine gottverdammten Armeen.
Ich saß mit ihm in einem der Cafés an der Seepromenade und tauchte meinen Teebeutel in eine Tasse mit milchigem Wasser. Ilya hatte sich geweigert, in meine Wohnung zu kommen, weil zu viele Blicke auf ihn gerichtet waren. Ich hatte mich geweigert, noch einmal in sein B&B zu gehen. Schluss, aus.
Eine lokale Radiostation dudelte durch die Lautsprecher, und es waren nicht viele Leute da. Trotzdem sprachen wir mit gedämpfter Stimme, beugten uns dabei über den Tisch, einander zugewandt.
«Also, was für Sorten Waffen?», fragte ich finster.
Er zuckte mit den Schultern. «Eine Menge russisches Zeug: AK-47, Tokarev, Makarov. Tschechische Ausrüstung ist auch gut sehr beliebt, besonders die Skorpion-Serie. Und dann gibt’s da noch –»
«Wow», sagte ich leise. «Kannst du das nochmal auf Englisch wiederholen? Du weißt schon, Modell Peng-du-bist-tot, oder rattattatta-rattattatta?»
Ilya grinste. «Entschuldigung», murmelte er. «Nach Peng-du-bist-tot ist die Nachfrage nicht besonders groß. Automatikwaffen, darum geht’s. Du weißt schon, Maschinengewehre, halbautomatische Waffen, Handfeuerwaffen.»
«O Gott», keuchte ich und überlegte, was ich ihn noch fragen könnte.
Ilya hatte mir ausnahmsweise mal absolute Ehrlichkeit zugesagt. Ich hatte die Erlaubnis nachzubohren, und diese Erlaubnis stellte eine tyrannische Verpflichtung dar. Ich fühlte mich, als müsse ich ihm eine Frage nach der anderen stellen, fragen, fragen, fragen, und trotzdem war ich mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich tatsächlich Antworten wollte.
«Und wie funktioniert das alles?», fragte ich stirnrunzelnd und spielte dabei mit einem Zuckertütchen. «Ich meine, wo kriegst du die her? Wem verkaufst du sie dann? Wie kannst du … Was ist, wenn …»
Ich war am Ende mit meinen Fragen.
«Schau. Es gibt massenhaft Waffen, die in Osteuropa zirkulieren. Und wirklich gutes Zeug – verdammt gute, auf dem neuesten Stand der Technik befindliche Kriegs-Qualität. Die –» er hörte auf zu sprechen und sah hinüber zu einem älteren Ehepaar, das kauend am Nebentisch saß.
«Die Bestände werden nicht immer regelmäßig überprüft», fuhr er fort, mit noch leiserer Stimme als vorher. «Da werden Bescheinigungen gefälscht. Das Zeug wird links, rechts und in der Mitte über die Grenzen geschafft. Und die Menge der Waffen, die die russische Armee hat, wird einfach immer, immer geringer, sie … Und dann gibt es natürlich auch noch Fabriken, die jede Menge Zeug raushauen, das sich das Militär gar nicht leisten kann. Irgendjemand muss die Sachen ja abnehmen. Und die landen dann eben auf dem Schwarzmarkt. Und wie ich sagte, ich arbeite ja nicht allein. Wir sind Teil einer langen Kette. Wir verkaufen die Sachen an Leute, die sie dann wieder an andere weiterverkaufen. Ich bin eigentlich eher dafür zuständig, dafür zu sorgen, dass wir die Ware aus Prag, Sofia und Budapest rankriegen, nicht so sehr, dass alles hier vor Ort glattgeht.»
«Aber wo gehen die Sachen denn hin?», fragte ich fordernd. «Schafft ein Einbrecher sich so was an? Oder … oder Terroristen? Oder was? Und wo?»
Ilya schlürfte seinen schwarzen Tee und zog ein Gesicht. «Heutzutage hat jeder das Gefühl, er müsste entsprechend ausgerüstet sein. Besser, man stellt nicht allzu viele Fragen.»
Ich wusste nicht, ob er damit mich oder sich meinte. Oder uns beide.
«Herrje, hast du dabei denn gar keine Skrupel?», hakte ich nach, riss dabei versehentlich das Tütchen auf und verstreute die weißen Zuckerkörnchen überall.
Ilya lächelte. «Nein, das ist nicht gerade eine meiner starken Seiten.»
Ich lächelte nicht zurück. Wir schwiegen, und ich starrte einfach nur aus dem Fenster, über den ruhigen Sandstrand hinweg in den verwaschenen blauen Himmel. Er sah aus, als hätte man ihn mit einer dieser Farben gestrichen, die man jetzt überall kaufen kann: Weiß, mit nur einer Spur von Apfelgrün oder Pfirsichrosa. Der Himmel war an jenem Tag weiß mit einer Spur von Trübsal.
Die Sommersaison neigte sich dem Ende zu, dachte ich. Die meisten Touristen waren schon wieder zu Hause; die Kinder gingen wieder zur Schule; das viktorianische Karussell ist bereits wieder mit grünen Stoffbahnen verhängt, und nur oben zeigt es wie immer sein gestreiftes Verdeck. Eine
Weitere Kostenlose Bücher