Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
Baseballkappe verkehrt herum aufgesetzt, das schmutzige Hemd lose unter einem speckigen Trenchcoat und die weite Hose tief über den Hintern hängend, schlurfte Gideon Crew über die Straße und dachte, was für ein Glück er doch hatte, dass heute im Washingtoner Vorort Brookland der Müll abgeholt wurde.
Er bog um die Ecke der Kearny Street und ging an dem Haus vorbei, einem schäbigen Bungalow mit zu hohem Rasen davor, umgeben von einem weißen, lediglich teilweise gestrichenen Lattenzaun. Und natürlich mit einer wunderbar überquellenden Mülltonne am Ende der Zufahrt, so dass ein entsetzlicher Gestank nach vergammelten Garnelen in der schwülheißen Luft hing. Gideon blieb neben der Mülltonne stehen und sah sich verstohlen um. Dann griff er mit einer Hand hinein und grub in dem Müll. Er bekam etwas zu fassen, das sich wie Pommes frites anfühlte, und zog eine Handvoll heraus, stellte fest, dass es sich tatsächlich um Pommes handelte, und warf sie in die Tonne zurück.
Plötzlich nahm er eine Bewegung wahr. Aus einer Hecke kam eine struppige, einäugige Katze hervor.
»Hast du Hunger, Partner?«
Die Katze miaute leise und schlich herüber, ihr Schwanz zuckte misstrauisch. Gideon bot ihr eine Pommes frites an. Die Katze schnupperte daran, fraß sie, dann miaute sie wieder, lauter.
Gideon warf ihr eine kleine Handvoll hin. »Mehr gibt’s nicht, Kleine. Weißt wohl nicht, wie ungesund gehärtete Fette für dich sind.«
Die Katze setzte sich und verputzte die Pommes.
Gideon steckte den Arm nochmals in die Mülltonne und förderte diesmal einen Packen weggeworfener Papiere zutage. Rasch sah er sie durch. Es handelte sich um die Mathematik-Hausaufgaben eines Kindes – nur Einser, wie er anerkennend feststellte. Warum hatte man die Seiten weggeworfen? Müsste man einrahmen.
Er stopfte die Blätter in die Mülltonne zurück, fischte einen Hähnchenschenkel heraus und legte ihn für die Katze beiseite. Er griff nochmals hinein, diesmal mit beiden Händen, schob sie schlängelnd nach unten und ertastete irgendetwas Schleimiges, dann kramte er weiter unten, wobei seine Finger zu verschiedenen halbfesten Gegenständen vordrangen, bis sie schließlich wieder auf Papiere stießen. Er packte die Blätter, zog sie nach oben und sah, dass es genau das war, wonach es aussah: weggeworfene Rechnungen. Und darunter befand sich die obere Hälfte einer Telefonrechnung.
Jackpot!
»He!« Gideon hörte jemanden rufen und hob den Kopf. Der Eigentümer höchstpersönlich, Lamoine Hopkins, ein kleiner, dürrer Afroamerikaner, der aufgeregt mit dem Finger auf ihn zeigte. »He! Verschwinde von hier!«
Ohne Eile und froh über die unerwartete Gelegenheit, mit einer seiner Zielpersonen zu sprechen, steckte Gideon die Papiere ein. »Ist es verboten, sich was zu essen zu besorgen?« Er hielt den Hähnchenschenkel hoch.
»Hau ab, iss irgendwo anders!«, zeterte der Mann. »Das hier ist ein anständiges Viertel! Der Müll gehört mir!«
»Na kommen Sie, seien Sie doch nicht so.«
Der Mann holte sein Handy hervor. »Siehst du das hier? Ich rufe jetzt die Polizei.«
»Ach Mensch, ist doch nicht schlimm.«
»Hallo?«, sagte der Mann und sprach theatralisch ins Handy. »Ich habe hier einen Eindringling auf meinem Grundstück, der in meinem Müll stöbert! Fünfzehn-siebzehn Kearny Street Northeast!«
»Tut mir leid«, murmelte Gideon und schlurfte mit dem Hähnchenschenkel in der Hand davon.
»Schicken Sie mir einen Einsatzwagen, auf der Stelle!«, schrie der Mann. »Der Kerl versucht zu flüchten!«
Gideon warf den Hähnchenschenkel der Katze hin, trottete um die Ecke und fiel dann in Laufschritt. Rasch wischte er sich mit seiner Baseballkappe so gründlich wie möglich Arme und Hände sauber, warf die Mütze weg, wendete den Heilsarmee-Mantel – worauf ein tadelloser blauer Trench zum Vorschein kam –, zog ihn wieder an, steckte das Hemd in die Hose und kämmte sich schließlich das Haar nach hinten. Als er einige Nebenstraßen entfernt an seinem Mietwagen eintraf, kam ihm ein Streifenwagen entgegen, aber die Beamten warfen ihm nur einen kurzen Blick zu. Er stieg ein, drehte die Zündung und freute sich über sein großes Glück. Nicht nur hatte er bekommen, was er wollte, sondern war sogar Mr. Lamoine Hopkins höchstpersönlich begegnet. Und er hatte nett mit ihm geplaudert.
Das würde sich noch als sehr nützlich erweisen.
Am nächsten Morgen rief Gideon von seinem Motelzimmer aus die Nummern auf Hopkins’
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