Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
war so groß, dass er für einen Moment außerstande war, etwas zu sagen.
»Ich glaube, wir haben hier alles im Griff«, sagte der Medizintechniker. Die anderen begannen auseinanderzugehen.
Gideon fand seine Stimme wieder. »Was … was ist mit den Beinen geschehen?«
Der Medizintechniker beließ seine Hand weiter beruhigend auf Gideons Arm. »Sie sind vermutlich ins System für medizinische Abfälle gelangt und entsorgt worden.«
»Entsorgungssystem für medizinische Abfälle? Und was passiert dann damit, landen die auf einer Müllkippe oder was?«
»Nein. Medizinische Abfälle werden durch Verbrennen entsorgt.«
»Oh.« Gideon schluckte. »Und … nach welchem Zeitraum werden sie verbrannt?«
»Man lässt sie natürlich nicht herumliegen. Schauen Sie, es tut mir wirklich leid, aber die Beine sind verschwunden. Ich weiß, es muss ein Schock für Sie sein, aber … na ja, Ihr Freund ist tot.« Er deutete auf den Leichnam. »Was Sie hier sehen, ist nur eine leere Hülle. Ihr Freund ist nun an einem anderen Ort, und dort wird er seine Beine nicht vermissen. Zumindest glaube ich das, wenn ich das so sagen darf.«
»Nein, nein, natürlich dürfen Sie das. Es ist nur so, dass …« Gideon verstummte. Er konnte einfach nicht glauben, dass alles vorbei war. Er war gescheitert.
»Es tut mir sehr leid«, sagte der Mann.
Gideon nickte.
»Kann ich Ihnen mit etwas anderem helfen?«
»Nein«, sagte Gideon müde. »Ich bin hier fertig.« Er zog den Reißverschluss des Leichensacks hoch und schob das Kühlfach zu. Was Eli Glinn wohl zu dem hier sagen würde?
Als sie sich abwandten, bemerkte Gideon erstmals eine sehr stattliche und beeindruckende Afroamerikanerin, die im OP -Kittel und mit heruntergezogener OP -Maske in der Tür stand. Sie räusperte sich. »Ich konnte nicht umhin, Ihrem Gespräch zu lauschen«, sagte sie. »Ich bin Dr. Brown, Ärztin in der Rechtsmedizin.«
Der Medizintechniker begrüßte sie. Alle schwiegen.
Dann ergriff Dr. Brown das Wort, sehr sanft. »Wie war noch gleich Ihr Name, Sir?«
»Gideon Crew.«
»Ich habe einige Informationen, Mr. Crew, die Ihnen möglicherweise ein wenig Trost spenden.«
Gideon rechnete mit einer weiteren Darlegung religiöser Ansichten.
»Mr. Correlli hier hat recht, es ist das übliche Verfahren in diesem Land, dass Körperteile nach der Amputation in das Entsorgungssystem für medizinische Abfälle gelangen. Aber in diesem Fall ist das wohl nicht geschehen.«
»Und warum nicht?«
»Hier in New York haben wir ein ungewöhnliches System, vielleicht sogar ein einmaliges. Wenn eine Gliedmaße operativ entfernt wird und der Patient keine speziellen Anweisungen hinsichtlich der Entsorgung gibt, wird die Gliedmaße, nachdem sie die Pathologie verlassen hat, in eine Kiste gelegt und zum Blutacker von New York zur Beisetzung geschickt.«
Gideon sah sie ungläubig an. »Blutacker?«
»Ganz recht. Das ist der Ort, wo die Mittellosen beerdigt werden. Der Name stammt aus der Bibel, der Acker, auf dem Judas begraben wurde.«
»New York City hat einen Blutacker?«
»Genau. Wenn nach dem Tod eines Menschen niemand Anspruch auf den Leichnam anmeldet oder wenn sich die Familie ein Begräbnis nicht leisten kann, bestattet die Stadt die sterblichen Überreste auf ihrem Blutacker. Das Gleiche gilt für, äh, nicht beanspruchte Gliedmaßen. Dort werden die Beine Ihres Freundes beerdigt sein.«
»Und wo befindet sich dieser … Blutacker?«
»Auf Hart Island.«
»Hart Island?«, wiederholte Gideon. »Und wo liegt das?«
»Wenn ich recht informiert bin, handelt es sich um eine unbewohnte Insel im Long-Island-Sund.«
»Und dort wurden die Beine begraben?«
»Ohne Zweifel«
»Besteht die Möglichkeit, sie … woanders zu beerdigen?«
»Ja«, sagte Dr. Brown. »Nachdem sie durch die Pathologie gegangen sind, werden alle Leichname, Gliedmaßen und so weiter in numerierte, beschriftete Kisten gelegt und so begraben, dass sie aus pathologischen oder forensischen Gründen geborgen werden können. Machen Sie sich also keine Sorgen. Die Beine Ihres Freundes haben ein anständiges Begräbnis bekommen.«
»Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen.« Gideon hatte Mühe, seinen rasenden Puls zu verbergen. Das waren unglaubliche Neuigkeiten.
Der Medizintechniker tätschelte ihm freundschaftlich die Schulter. »Nun, ich hoffe, das schenkt Ihnen einen kleinen Trost.«
»Ja«, sagte Gideon. »Ja. Obwohl …«, an dieser Stelle warf er Dr. Brown einen seelenvollen, flehentlichen Blick
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