Giebelschatten
löste sich von ihr, wandte sich zu Curtis um und schüttelte ihm die Hand. »Mylord, wie geht es Ihnen? Und in was für reizender Begleitung ich Sie finde!«
»Darf ich vorstellen«, sagte Curtis. »Mademoiselle Bejart, Valerie Bejart.« Und mit einem Blick zu ihr fügte er hinzu: »Monsieur Stiller. Ein… lieber Bekannter.« Sein Zögern war so kurz, daß es selbst Valerie kaum auffiel.
Stiller überlegte einen Augenblick, dann huschte ein Schatten des Erkennens über sein kalkiges Gesicht. »Natürlich.« Er strahlte. »Valerie Bejart. Die Königin des Grand Guignol.«
Sie sah überrascht auf. Sie erschrak bei dem Gedanken, daß sich sein weißes Gespenstergesicht irgendwo im Dunkel des Zuschauerraums verbarg, wenn sie – und sei es auch nur für eine Sekunde – nackt auf der Bühne stand. So geschmeichelt sie sich fühlte, an einem Ort wie diesem erkannt zu werden, so bloßgestellt fühlte sie sich auch.
Curtis schien zu ahnen, was in ihr vorging. Er räusperte sich. »Monsieur Stiller ist Paris’ größter Sammler erotischer Kunst.«
Sie schluckte. »Tatsächlich?«
Stiller grinste, als hätte Curtis ihm ein ungewöhnliches Kompliment gemacht. »Aber, aber… Es gibt durchaus noch ein, zwei größere Kollektionen in der Stadt. Wenn auch mit manch weniger bedeutendem Werk«, fügte er hinzu.
»Darf ich fragen, wo Sie sich kennengelernt haben?« erkundigte Valerie sich, nur um irgend etwas zu sagen.
»Auf einem Wohltätigkeitsball. Vor zwei« – er blickte zu Curtis – »nein, vor drei Jahren.«
»Wie schön.« Sie kam sich unsäglich dumm vor bei diesen Worten. Aber Hauptsache war, er hatte keine Gelegenheit mehr, sie noch einmal mit seinem bohrenden Blick anzusehen. War das der Schock, dem schon mancher Schauspieler zum Opfer gefallen war, wenn er erkannte, wer tatsächlich vor ihm im Publikum saß? Wenn er sah, daß seine Zuschauer nicht nur winzige, weit entfernte Gesichter waren, sondern auch… ja, was war es eigentlich, das sie an diesem Stiller so abstieß?
Die Antwort blieb sie sich schuldig, denn plötzlich entstand am anderen Ende des Cafes ein Aufruhr, als drei schwer bepackte Zeitungsjungen hereindrängten.
»Zweiter Hurenmord in zwei Nächten!« rief einer mit heller Kinderstimme. »Massaker am Montmartre!«
Während die Kellner wie aufgescheuchte Hühner hin und her liefen und versuchten, die Kinder hinauszuwerfen, stießen die drei Jungen weiter ins Innere des Cafes vor. Als einer an Curtis vorbeikam, verlangte dieser ein Exemplar. Ernst starrte er auf die Schlagzeile, schüttelte dann den Kopf und legte die Zeitung beiseite.
Auch Stiller studierte die Titelseite. Für einen Augenblick verfinsterte sich sein Blick. Seine Lippen flüsterten etwas im Selbstgespräch, das Valerie nur undeutlich hören konnte. Vergeblich versuchte sie, den Satz in Gedanken nachzusprechen.
Plötzlich gab Stiller sich einen Ruck, lächelte wieder und sah von einem zum anderen.
»Wenn es Sie interessiert, könnte ich Ihnen meine Sammlung zeigen«, schlug er vor. »Mademoiselle, Mylord?«
Curtis hob den Kopf. »Ich glaube nicht, daß –«
»Aber, Mylord«, fiel Stiller ihm ins Wort, »machen Sie mir doch die Freude. Ich verspreche Ihnen, ich werde Ihnen nichts zeigen, das Mademoiselle Bejart schockieren könnte.«
Valerie kniff die Lippen zusammen. In ihr begann es zu brodeln. »Ich habe heute abend eine Vorstellung, Monsieur Stiller. Vielleicht ein anderes Mal?« Äußerlich bemühte sie sich um Liebreiz. Mistkerl, dachte sie.
Aber Stiller schien sich damit nicht zufriedenzugeben. »Bis dahin sind wir doch lange fertig. Meine Kutsche steht vor der Tür. Wir könnten sofort losfahren.« Sein Blick suchte fast flehentlich Beistand bei Curtis. »Ich bin sicher, es wird Sie beide interessieren«, fügte er hinzu.
Mich nicht, hätte Valerie gerne gesagt. Aber da kreuzte sie Curtis’ Blick, und in seinen Augen las sie etwas wie Bringen wir ’s hinter uns!
Für einen Augenblick überlegte sie, ob er den Verstand verloren hatte. Dann aber wurde ihr klar, was er dachte. Selbstgefällige Subjekte wie Stiller gaben niemals Ruhe. Was, wenn sie ihn morgen wieder trafen, oder übermorgen?
»Na schön«, sagte sie und lächelte gequält. Curtis nickte dankbar.
»Wunderbar!« entfuhr es Stiller. »Erlauben Sie, daß ich die Rechnung zahle.« Er wandte sich zu einem Kellner um. »Monsieur!«
Curtis ging höflich, aber bestimmt dazwischen. »Herzlichen Dank«, sagte er, drückte dem Kellner einen viel zu
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