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Giebelschatten

Titel: Giebelschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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von Büchern geschrieben stehen mochten.
    »Man hat mir ein aufregendes Angebot gemacht. Ein guter Freund will mir einen einzigartigen Umschlag besorgen.« Er kam näher. »Aus Mädchenhaut.«
    Josette spürte, wie sich auf einen Schlag alles in ihr zusammenzog. Machte er einen Scherz? Mädchenhaut. Das Wort raste wie ein Pendel durch ihren Kopf: Mädchen, Haut, Mädchen, Haut…
    »Ich bekomme sie, sobald sie gegerbt ist. Und preiswert, noch dazu.«
    Sie stand da wie versteinert, während in ihrem Inneren tausend Alarmglocken anschlugen. Der Mann – wie war sein Name, sein verdammter Name? – machte einen weiteren Schritt auf sie zu. Sein Lächeln war immer noch höflich wie zuvor, aber da war etwas hinter dieser Fassade, Gedanken und Gefühle jenseits ihrer Vorstellungskraft.
    Er legte das Manuskript auf der Couch ab, fuhr sich mit einer Handbewegung durchs Haar und räusperte sich. »Möchten Sie vielleicht etwas trinken?«
    Für einen Augenblick glaubte Josette, sie habe sich verhört. Trinken?
    »Wenn Sie es wünschen, werde ich etwas aus der Küche für sie holen.«
    Das Herz klopfte ihr mit harten, schmerzhaften Schlägen gegen die Brust, und ihre Zunge sträubte sich, ihr zu gehorchen. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie das Fenster.
    »Ger… gerne«, brachte sie schließlich hervor.
    Der Mann lächelte freundlich – und kam immer noch auf sie zu.
    Alles in ihr schrie danach, sich nach hinten zu werfen. Vor ihren Augen drehten sich Farben wie Kreisel eines Kindes, und ihr Verstand katapultierte sie in einen Zustand heilloser Panik. Noch bevor sie ihre erstarrten Glieder zu einer Bewegung zwingen konnte, war er heran, rascher als sie erwartet hatte, mit zwei, drei nicht einmal hastigen Schritten, und doch so schnell, so rasend schnell!
    Er hob seine Hand und streichelte ihre Wange. »Warten Sie einen Moment«, flüsterte er zärtlich, zog die Hand zurück und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um, lächelte ihr aufmunternd zu und verschwand auf der Balustrade.
    »Nichts ist schöner«, hörte sie ihn rufen, »als Frauen und die Jagd.«
    Sie horchte, wie sich seine Schritte auf den Stufen entfernten, dann fuhr sie herum, sprang mit wenigen Sätzen zum Fenster und riß die Verriegelung herunter.
    Der Hebel ließ sich nicht weiter als ein, zwei Millimeter bewegen, dann verkantete er sich und rastete ein. Josette stöhnte auf. Ihr Puls jagte, und sie spürte, wie das Blut mit rasender Geschwindigkeit durch ihre Adern tobte. Das Zittern in ihren Knien drohte auf ihren gesamten Körper überzugreifen. Schon bebten ihre Lippen, und ihre Finger regten sich ganz von selbst in einem eigenen, hektischen Takt. Mein Gott, dachte sie und riß mit aller Kraft am Fenstergriff, hilf mir! Bitte…
    Sie merkte noch im gleichen Moment, daß sie das letzte Wort geschrien hatte. Die Panik drohte sie zu überwältigen. Egal wo er war, er mußte sie gehört haben. Jetzt würde er durch die Küchentür springen, die große Halle durchqueren, zur Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal.
    Mit einem Aufschrei ließ sie den Hebel los und rannte zur Seitentür. Als sie sie aufriß, sprang ihr aus dem Nebenzimmer Dunkelheit entgegen, fast greifbare Finsternis, doch sie sah auch im Hintergrund ein Fenster, durch das diffuses Licht hereinfiel. Sie stürzte durch die Tür, erkannte in den Schatten große eckige Formen an den Wänden, und warf sich gegen die Scheibe. Es knirschte, als sie nach dem Fensterriegel griff und ihn mit einem Keuchen nach unten riß. Augenblicklich umfing sie die eisige Nachtluft.
    Verzweifelt blickte sie hinaus und sah die hohen Schneeverwehungen mehrere Meter unter ihr, die ein gnädiger Wind gegen die Hauswand getrieben hatte. Sie vergaß alle Vernunft, stieß sich ab und federte mit dem Oberkörper über die Kante. Ihr linkes Knie krachte gegen das Holz des Fensterrahmens, sie hörte, wie ihr Rock mit einem gedehnten Kreischen zerriß, dann wurde sie von ihrem eigenen Gewicht in die Tiefe gerissen. Ihr Fuß schabte mit einem feurigen Schmerz an der Mauer entlang, dann fühlte sie, wie sie ins Leere fiel, wie der Boden näher kam und näher…
    Der Schnee nahm sie auf wie ein weißes Seidenpolster.
    Für einige Sekunden lag sie einfach nur da wie betäubt. Ich lebe, schoß es ihr durch den Kopf, und Euphorie begann ihre Angst zu vertreiben.
    Aber es war noch nicht vorbei.
    Blitzartig rappelte sie sich auf – nichts gebrochen, schrie es in ihr, nichts gebrochen! –, warf sich herum und rannte

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