Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Versprechen.
Nicht einmal eine halbe Stunde später befand sich Miguel Dossantos wieder auf freiem Fuß. Der Haftrichter sah keine Veranlassung, den »Ehrenbürger vom Kiez«, dem die Staatsanwaltschaft mit Hilfe eines Kronzeugen Bestechung, Erpressung und Mord vorwirft, in Untersuchungshaft zu behalten.
100
Eine Peitsche zischte durch die Luft. Er wollte flüchten. Doch Ketten schlangen sich um seine Gelenke, erlaubten kein Entkommen. Der Lederriemen fuhr auf seine nackte Haut herunter. Er schrie auf. Jemand lachte. Er drehte seinen Kopf, bis er sie entdeckte. Sie stand hinter ihm und trug ein Korsett, aus dem ihre prallen Brüste hervorquollen, so dass dabei die großen, festen Brustwarzen enthüllt wurden. Sie hatte Stiefel mit Absätzen an, die so hoch waren, dass sie ihn um mindestens zwei Köpfe überragte. Ihre unglaublich langen Beine umschmiegten Strümpfe, die kurz vor ihrem Unterleib endeten und dabei einen Streifen weißer, zarter Haut enthüllten.
Wieder fuhr das Lederband auf ihn herab. Er schloss die Augen, wand sich in den Fesseln. Die Kette rasselte. Je heftiger er sich bemühte, sich von ihr zu befreien, umso schriller klang das Eisen in seinen Ohren. Es klirrte und klapperte. Er riss die Augen auf.
Sein Handy schrillte. Nur ein Traum. Die Erektion unter seinen Boxershorts war dagegen harte Realität.
Er meldete sich mit heiserer Stimme.
»Paul, bist du das?«, fragte Rita.
»Natürlich«, sagte Kalkbrenner, »du hast doch meine Nummer gewählt.«
»Entschuldige, ich habe deine Stimme wirklich nicht erkannt. Hab ich dich geweckt?«
Es war kurz nach neun. Definitiv zu wenig Schlaf und zu nervöse Träume. »Nein, ist schon okay. Was ist denn?«
»Wir haben eine Leiche in der Weimarer Straße gefunden, nicht weit vom Karl-August-Platz. Vermutlich eine Prostituierte.«
»Eine Prostituierte?«, wiederholte er beunruhigt.
»Sebastian ist bereits unterwegs.«
Er streifte die Decke von sich, um aufzustehen.
»Paul?«, sagte Rita fast unhörbar.
»Ja?«
Kurzes Schweigen. Dann: »Wo bist du?«
Über dem Sofa hing Jessys Ölbild. Viele bunte Tupfer. Ein Chaos. »Zu Hause. Bei Ellen.«
Dann beendete er das Gespräch. Seine Frau kam ins Zimmer. Reflexartig griff er nach der Decke und breitete sie über seinem Unterleib aus. Sein Schwanz stand noch immer aufrecht. »Du bist schon wach?«, fragte er verlegen.
»Schon eine Weile. Ich hab Wäsche gewaschen. Auch einige Sachen aus deinem Koffer.«
Er lächelte schuldbewusst. »Ich weiß, die hatten’s nötig.«
»Allerdings.« Ellen wandte sich auf dem Absatz ihrer Pantoletten um, blieb aber auf halbem Weg in die Küche stehen. »Jessy hat angerufen.«
»Hat sie gesagt, was sie wollte?«
»Nein, aber sie hat darum gebeten, dass du sie zurückrufst.«
»Sonst hat sie nichts gesagt?«
»Sollte sie?«
»Nein, nein.«
Erst als Ellen sich im Nebenraum befand, machte er sich auf den Weg ins Bad. Nur langsam ließ seine Erektion nach. Er wählte Jessys Nummer und war erleichtert, dass seine Tochter anscheinend nicht mit Ellen über den Vorfall gestern in der Datsche gesprochen hatte. Vielleicht war es ja ein gutes Zeichen, dass Jessy mit ihm reden wollte. Er spähte kurz zum Fenster hinaus. Die Morgensonne blendete seine noch schläfrigen Augen. Er dankte der Sternschnuppe, wo immer sie sich jetzt auch befand.
Durch das Schleudern der Waschmaschine hindurch hörte er das Freizeichen. Jessy nahm ab. »Paps, kannst du Bernie abholen? Ich sehe nicht ein, dass ich, Mama oder sonst wer sich um
deinen
Hund kümmern soll, während du dich vergnügst.«
Kalkbrenner fühlte sich überrollt. »Jessy, bitte, lass mich dir doch wenigstens …«
»Spar dir deine Worte.«
Der Schleudergang der Waschmaschine war beendet. Im Bad herrschte wieder Ruhe. »Jessy, du täuschst dich.«
»Paps, kannst du dich noch an Sonntagabend erinnern? An das Essen? Was du gesagt hast? Wie erwachsen ich geworden bin? Hallo? Ja, ich bin erwachsen. Ich bin nicht doof.« Damit legte sie auf.
Sternschnuppen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.
Es klopfte. Ellen trat ein und ging zur Waschmaschine. »Warum ist Jessy wütend?«
»Wir hatten einen kleinen Streit.«
»Worum ging es denn?«
Er kratzte seine Stirn und wünschte sich, er hätte noch ein bisschen länger schlafen können. »Sie hat etwas missverstanden.«
»Was denn?«
»Sie war gestern in der Datsche und …«
»Ja, ich weiß, sie wollte mit Leif und Bernie dorthin. Ich hab gesagt, dass sie doch raus
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