Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Titel: Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
Vom Netzwerk:
Harenstett ab. »Das hätte ich bemerkt.«
    »Nun«, sagte von Hirschfeldt und stemmte die Hände in seine Hüften. »Dann muss es Ihnen wohl jemand verraten haben.«
    »Hm«, machte Kühne. »Es gibt nicht sehr viele, die über diesen Ort Bescheid wissen.« Er rieb sich die Nasenwurzel. »Eigentlich nur Herr Harenstett, mein Kollege Becker, einige weitere Kollegen unseres Vertrauens, unser Vorgesetzter, nun, und Frau Dossantos und ihre Freundin. Und Sie. Schon seltsam, dass die beiden Schwestern auf der Bildfläche erscheinen, kurz nachdem Sie hier aufgetaucht sind. Haben Sie es jemandem verraten?«
    Von Hirschfeldt war empört über die unverhohlene Dreistigkeit. »Bis zu Ihrem Anruf vorhin wusste ich ja nicht einmal, wo Frau Dossantos steckt! Das ist eine …« Etwas irritierte ihn. Er brauchte einen Augenblick, bis er begriff, dass es eine böse Vorahnung war. Er hustete schnell. »… eine Unterstellung!«
    Harenstett musterte ihn aufmerksam. »Was ist mit Ihnen?«
    Von Hirschfeldt holte sich von der Küchenanrichte ein Glas Leitungswasser. Aber das wäre absurd.
Unmöglich!
Er nahm einen langen Schluck. Im gleichen Moment hatte er das Wasser auch schon wieder ausgeschwitzt.
Haltung bewahren
.
So wie es ihn sein Dozentenfreund gelehrt hatte. Professionell und glaubwürdig verkündete er: »Ich habe mich verschluckt.«

116
    »Ob ich gerne Polizist bin?«, wiederholte Kalkbrenner. Das Feuer im Kamin knisterte. Die Flammen loderten unruhig, als wären sie der Spiegel seiner Seele. »Die Antwort fällt mir nicht leicht.«
    »Warum?« Judiths Augen hefteten sich neugierig auf ihn. »Du wolltest doch damals schon Polizist werden.«
    »Ja, ich hab davon schon als kleiner Junge geträumt.« Spontan amüsierte ihn die Erinnerung daran. »Mit Blaulicht durch die Stadt rasen, Türen eintreten, mit der Knarre herumrennen, alte Damen vor bösen Buben retten …«
    »Bin ich etwa eine alte Dame?«
    Er lachte auf. Ein befreiendes Gefühl. Im Schein des Kaminfeuers konnte er erkennen, dass ihr Gesicht Farbe bekommen hatte. Das blonde Haar, das ihr zu beiden Seiten offen auf die Träger des schwarzen Kleides fiel, bildete einen hervorstechenden Kontrast dazu. »Du siehst gut aus. Besser als in den letzten Tagen. Erholt.«
    »Danke. Ich habe das schöne Wetter heute Mittag für ein kleines Sonnenbad auf der Wiese genutzt. Das Ferienhaus ist wunderbar.«
    Das ist das nächste Problem.
Doch bevor er etwas sagen konnte, griff Judith den Faden wieder auf. »Dein Job belastet dich, oder?«
    »Weniger der Job im Allgemeinen.«
    »Ist es der Tod?«, fragte sie und rückte etwas näher.
    Dass sie es so auf den Punkt brachte, überraschte ihn einerseits, andererseits erinnerte es ihn erneut daran, wie Judith ihn schon damals immer erstaunlich schnell durchschaut hatte. »Ja, der Tod und die Gewalt.«
    »So schlimm?«
    »Am schlimmsten ist die Verzweiflung der Angehörigen, die Schuldgefühle in mir weckt. Die mich erst zu meiner Arbeit antreiben.«
    Judith nickte mitfühlend. »Du hast nie versucht, etwas daran zu ändern?«
    Man muss sich ändern wollen.
Wie oft hatte er diesen Satz inzwischen gehört? »Was hätte ich denn daran ändern sollen? Es war schließlich mein Job.«
    »Es
ist
dein Job, noch heute.« Judith barg seine Hand in ihren Fingern. »Es ist das, was du immer tun wolltest. Und du warst schon immer bereit, den hohen Preis dafür zu bezahlen.« Ihr Kopf lehnte jetzt an seiner Schulter. »Nach unserem Urlaub in der Dominikanischen Republik haben wir das Abitur gemacht, du hast dein Studium begonnen und …« Die letzten Worte waren nicht mehr zu verstehen.
    Die Flammen im Kamin verschlangen zischend das Holz. Bernies Kopf fuhr herum; er bellte. Weil er aber nichts entdeckte, was seinen Argwohn erregte, vergrub er seine Schnauze wieder zwischen den Vorderpfoten, die Augenlider sanken herab, und er schlief schnarchend ein. Bis zum nächsten Funkenflug.
    »Hast du oft an unsere Trennung gedacht?«, fragte Kalkbrenner.
    »Lange Zeit nicht.« Judith stieß ein leises Lachen aus. »Irgendwann wusste ich nicht einmal mehr, warum wir überhaupt Schluss gemacht hatten.« Fragend schaute sie zu ihm auf. »Weißt du es noch?«
    Es war gerade einen Tag her, dass er sich selbst diese Frage gestellt hatte. Im Geiste reiste er mehr als 20 Jahre zurück. »Vielleicht haben wir es vergessen, weil unsere Trennung so normal war. Das genaue Gegenteil unserer Beziehung. Es war der Alltag, der uns einholte, das Studium, der

Weitere Kostenlose Bücher