Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
setzte den Blinker.
»Mit viel Glück.« Er sank tiefer in den Sessel. »Ich habe den Lärm und die Schüsse im Nebenraum gehört und schnell reagiert. Bin zum Fenster raus. Das hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Der Killer kam zu spät in mein Zimmer ... Seine Kugel hat mich nur noch an der Schulter erwischt. Ich konnte in den Wald entkommen.«
»Ist er ihnen nicht gefolgt?«
»Bestimmt ist er das.« Brandner nickte heftig und verschränkte die Arme vor der Brust. Bei der Erinnerung an seinen Irrweg durch die Kälte fröstelte ihn. »Aber im Wald ... Ich habe mich verlaufen. Zwei, drei Stunden oder noch länger bin ich in der Wildnis herumgeirrt, keine Ahnung wie lange. Wahrscheinlich hat der Killer sich ebenfalls verirrt. Wenn ich Glück habe, findet er erst morgen früh, wenn die Sonne aufgeht, wieder aus dem Wald heraus. Geschieht ihm recht.«
»Und jetzt? Was haben Sie vor?«
»Erst einmal zurück nach Berlin.«
»Aber nicht zur Polizei, oder?«
Er keuchte abfällig. »Würden Sie an meiner Stelle zur Polizei gehen?«
Claudia schüttelte den Kopf.
»Sehen Sie«, sagte er, »ich habe keine Ahnung, wem ich noch vertrauen kann.«
»Und was ist mit dem Prozess in zwei Tagen?«
»Was weiß ich.« Er zuckte mit den Achseln. Ein jäher Schmerz explodierte in seiner Schulter. Leise presste er hervor: »Ich glaube, für den Augenblick habe ich andere Sorgen.«
»Stimmt«, pflichtete sie ihm bei.
Er lehnte sich zurück und wartete, bis der Schmerz in seiner Schusswunde abklang. Ließ sich von der behaglichen Wärme trösten, blickte hinaus in die Dunkelheit. Auf einem Schild am Straßenrand stand: ›Magdeburg 139 Kilometer‹.
Er richtete sich auf. »Claudia, sagen Sie, sind Sie sicher, dass wir richtig sind?«
Sie nickte. Dann bremste sie, als sie ein Wäldchen durchkreuzten, und bog erneut ab. Plötzlich rumpelten die Reifen über einen Feldweg. Nach wenigen Metern ließ sie den Wagen ausrollen.
Unvermittelt begann es in Brandners Bauch zu rumoren. »Claudia, was ist los?«
»Erinnern Sie sich an unsere nette Plauderei über meinen Job? Ich habe ein klitzeklein wenig geflunkert.«
Sie schaltete das Licht aus. Dennoch bemerkte Brandner in ihrer Hand die Waffe, deren Lauf auf ihn gerichtet war. »Ich habe noch nicht Feierabend.«
»Nicht?«, echote er, noch immer zu überrascht, um reagieren zu können. Aber etwas in ihm höhnte:
Weihnachten fällt tatsächlich aus. Und nicht nur dieses Jahr ...
»Nein, ganz im Gegenteil.« Ihre Stimme verriet, dass sie lächelte. »Meine zweite Schicht beginnt gerade erst.«
Nicht reden, handeln!
Short Story
Um Miguel Dossantos geht es auch in »Nicht reden, handeln!«, einer bislang unveröffentlichen Kurzgeschichte, die als eine Art Teaser für »Gier« sowie für den nachfolgenden Thriller »Trieb« geschrieben habe. Zeitlich ist die Short Story zwischen den beiden Romanen anzusiedeln.
Erstmals lernt der Leser Kommissar Kalkbrenners neue Assistentin Sera Muth kennen. Sie wird in »Trieb« eine nicht unwichtige Nebenrolle übernehmen.
»Sie haben keine Ahnung!«, spie der Mann hervor und hämmerte auf den Schreibtisch. Die Erschütterung ließ den PC -Monitor und den kleinen, bunt blinkenden Plastikweihnachtsbaum daneben schwanken. »Keine Ahnung, um was es geht, oder?«
»Um Mord«, entgegnete Paul Kalkbrenner gelassen. »Eine Ihrer ...« Er machte eine kurze Pause und blickte auf die Straße vor dem Fenster. Wie jeden Tag kurz vor Feierabend staute sich der Verkehr auf dem Kaiserdamm, nicht weit vom Funkturm. Erste, kleine Schneeflocken wirbelten vom Himmel. Für den Abend war ein Sturm angekündigt. Morgen früh würde auf den Straßen gar nichts mehr gehen. Kalkbrenner lenkte seine Aufmerksamkeit zurück in das Büro. »Eine Ihrer Angestellten wurde ermordet, Herr Gregorsen.«
»Ja, ich weiß«, schnaufte Gregorsen und wischte sich die Stirn. Der füllige Mann schwitzte, weil die Heizung unaufhörlich brummend heiße Luft in das Zimmer pumpte. Gregorsen beugte sich zum Computerbildschirm und begann zu schreiben. »Das sagten Sie bereits.«
In das Geklacker der Tastatur fragte Kalkbrenner: »Habe ich Ihnen auch gesagt, wo die Leiche von Mandy Braukmann entdeckt wurde?«
»Wie bitte?«
»Wissen Sie, wo wir Mandys Leiche gefunden haben?«
Gregorsen löste seinen Blick vom Monitor. »Nein, was soll die Frage?«
»Ich dachte, das interessiert Sie vielleicht.«
Gregorsen knöpfte sein Jackett auf, streifte es von den Armen und hängte es über
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