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Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Titel: Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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hing. Der lauschte in sein hypermodernes Handy, bevor er sich zu seinem Anwalt wandte: »Claudio, es ist ein Freund eingetroffen. Er wartet auf uns.«

17
    Berger lenkte den Passat Kombi, ihren Dienstwagen in silberfarbener Lackierung, mit bemerkenswerter Gemütlichkeit über die Frankfurter Allee. Mehr als Schritttempo war nicht möglich. Wie jeden Samstag fielen nicht nur Touristen, sondern auch alle Einheimischen zum Shoppen in die City ein. Selbst die sechs Fahrspuren der Ostberliner Prachtmeile konnten keinen reibungslosen Verkehrsfluss garantieren.
    Kalkbrenner hatte die Akten ungeöffnet auf seinem Schoß liegen und sank tiefer in den Sitz. Obwohl es schon Ende September war, standen die stämmigen Bäume beiderseits der Allee noch in dichtem Grün.
    Er stellte sich vor, wie er durch den Wald spazierte, der seinen Bungalow vom Warnemünder Strand trennte. Zwischen den Baumwipfeln blitzte immer wieder die Sonne hervor. Sie lachte aus dem blauem Himmel. Im Auto wurde es angenehm warm.
    »Ist mir heiß«, stöhnte Berger unter seinem Schnauzer hervor und schaltete die Klimaanlage an. Sofort strömte kühle Luft ins Wageninnere. Kalkbrenner schloss die Augen und versetzte sich wieder an den Strand. Frischer, angenehmer Seewind blies ihm ins Gesicht.
    »Hattest du schon mal einen Fall in Neukölln?«, fragte Berger, während er an einer Ampel stoppte.
    Kalkbrenner kehrte nach Berlin zurück. Nach Neukölln. Plötzlich war ihm kalt. »Ja.«
    Die Ampel sprang auf Grün, und Berger fuhr stockend an. Am Frankfurter Tor bog er nach rechts in die Warschauer Straße ab. Endlich wurde der Verkehr flüssiger. »War das die Sache im Juni?«
    Kalkbrenner gab einen grunzenden Laut der Zustimmung von sich, der genauso gut auch
Schnauze!
bedeuten konnte.
    Berger schien sich für die erste Deutungsvariante entschieden zu haben. »Schlimme Sache, das mit deinem Kollegen.«
    Kalkbrenner presste die Lippen aufeinander. Bergers Bemühen, ihn kennenzulernen, war lobenswert, immerhin würden sie fortan miteinander klarkommen müssen. Sein Timing ließ allerdings schwer zu wünschen übrig. »Ja.«
    Kalkbrenner lenkte seine Gedanken auf die Oberbaumbrücke. Das neugotische Bauwerk mit dem Wehrgang und den spitzen Wassertürmen war eines der faszinierendsten von ganz Berlin. Es markierte die Grenze zu Kreuzberg.
    Einstmals ein alternativer Stadtteil, in dem Kalkbrenner als Kind mit seinen Eltern gewohnt hatte, war der Bezirk nun zu einem hippen In-Viertel mutiert. Es gab eine Menge Grünflächen, viel alte Bausubstanz, die inzwischen zum Großteil restauriert worden war. In den oberen Stockwerken hatten die Wohnungen häufig so hohe Decken wie ein Ballsaal. In den Erdgeschossen dagegen wechselten sich türkische Gemüsehändler mit persischen Imbissen, thailändischen Suppenküchen und Geschäften für ominösen Trend-Tand ab. Auch Bars, Kneipen und Clubs gab es zuhauf. Es war ein lebendiges Brodeln, tags wie nachts, das über dem Viertel lag.
    An der nächsten Kreuzung ging links die Wiener Straße ab. Sie tangierte den Görlitzer Park, wo Jessy seit zwei Monaten ihre eigene Wohnung besaß. Kalkbrenner hatte ihr beim Umzug geholfen. Er überlegte kurz, ob er seinen Kollegen bitten sollte abzubiegen. Es drängte ihn danach, seine Tochter zu sehen, auch wenn es nur für einen kurzen Schwatz war. Doch bevor er überhaupt etwas sagen konnte, hatten sie die Kreuzung bereits überquert.
    Sie erreichten Neukölln. Die Häuser, von Abgasen zerfressen, mit Graffiti verschmiert, rückten an die Straße heran. Bald waren sie von Beton und Stein umgeben.
    Die Klimaanlage blies auf höchster Stufe. Mit einem Seufzer öffnete Kalkbrenner endlich die Akten, aber er entdeckte nichts, was nicht schon in der Konferenz auf dem Präsidium zur Sprache gekommen wäre.
    Die Wahrheit liegt zwischen den Zeilen,
meldete sich eine Stimme. Sie war so deutlich und so laut in seinem Schädel zu hören, dass Kalkbrenner zusammenzuckte. Die Weisheit entstammte seinem unerschöpflichen Fundus an Ratschlägen für Polizisten, den er
die kleinen Helferlein
nannte. Dass die sich nun zu Wort meldeten, war ein untrügliches Zeichen dafür, dass er endgültig wieder im Dienst war. Ob das ein gutes Gefühl war, vermochte er nicht zu sagen.
    Aus dem Kofferraum erklang Bernies Kläffen. Kalkbrenner hatte ein schlechtes Gewissen. Er griff zu seinem Handy und wählte die Nummer seiner Tochter.
    »Paps!«, hörte er ihre übermütige Stimme. »Bist du wieder in Berlin?«
    »Ja.

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