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Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Titel: Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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die Frau, einen halben Kopf größer als die beiden Beamten. Sein kantiger Schädel war kurz geschoren, passend zum Kampfsportkörper im Muskelshirt. Auf einem Oberarm prangte eine Tätowierung, so mies gestochen, dass sie auch Teil der blauen Flecken hätte sein können, mit denen die Haut gesprenkelt war.
    Der Riese tauschte einige Sätze auf Rumänisch mit der Frau aus. Kalkbrenner verstand nur ein Wort:
Mama
.
    »Ja, Sascha«, sagte die Mutter und trat zurück in die Wohnung. Vurikovicis Sohn starrte die beiden Beamten mit wütenden Augen an. »Seid ihr Reporter?«
    »Ich bin Kriminalkommissar Kalkbrenner.« Er zeigte dem Hünen seinen Dienstausweis. »Das ist mein Kollege Berger.«
    Aus der Stube brüllte eine Stimme etwas Unverständliches.
    »Keine Reporter, Papa«, schrie Sascha zurück. »Wieder die Bullen.«
    »Junger Mann«, warnte Kalkbrenner, »ich glaube, du meinst damit die Polizei.«
    Doch die Verwarnung interessierte Sascha nicht. Schritte schlurften über den Flur heran. Eine Hand schubste den Jungen grob beiseite, und der Vater kam zum Vorschein. Früher war er ganz bestimmt auch eine Kampfmaschine gewesen. Aber irgendwann hatten sich die Prioritäten verschoben und mit ihnen auch seine Körperproportionen. Seitdem hing das Fleisch schlaff an den Armen herunter, und statt eines Sixpacks lugte ein beachtlicher Bierbauch unter dem T-Shirt hervor.
    Abermals wurden Worte auf Rumänisch gewechselt. Sascha schimpfte. Vurikovici wurde energischer. Der Sohn schwieg. Endlich wandte der Ältere sich den Beamten zu. In seinen Worten schwang so viel Feindseligkeit mit, dass es Kalkbrenner unwillkürlich kalt den Rücken herunterlief. Der Sohn übersetzte: »Mein Vater fragt, was Sie wollen?«
    »Wir wollen mit ihm reden«, sagte Berger.
    »Mein Vater sagt, er hat Ihnen nichts zu sagen.«
    »Es ist wichtig.«
    »Mein Vater will wissen, was so wichtig ist.«
    »Es geht um Lukaz.«
    »Er ist kein Mörder.«
    »Das wissen wir.«
    In der Wohnung begann ein Kind zu schreien. Die Mutter brüllte. Kurz darauf wurde eine Tür zugeschlagen. Das Baby verstummte. Vurikovici drehte sich um, und Kalkbrenner und Berger folgten ihm in die Wohnung.
    In der schmalen Diele hingen bemalte Holzteller und Löffel an der Wand mit Strukturtapete, die es seit bestimmt 30 Jahren nicht mehr im Handel gab. Auf dem schmalen, nussfarbenen Sekretär, der eher einem Kasten auf vier einfachen Leitersprossen glich, stand ein veraltetes Telefon mit Wählscheibe.
    Die Biederkeit war jedoch nur die Vorhut des Wohnzimmers: Dort hingen zwei handgeknüpfte Teppiche. Darunter stand eine Couchgarnitur mit Streifenmuster und rotgoldenen Plüschkissen. Auf dem kirschhölzernen Beistelltisch hatte ein Samowar seinen Platz gefunden.
    Jung war in dieser ältlichen Rumänienimitation nur das kleine Mädchen, das in der Ecke versunken Legosteine aufeinandersetzte. Als die beiden Beamten ins Zimmer traten, winkte das Kind fröhlich: »Da!«
    »Hallo!« Kalkbrenner schenkte ihm ein Lächeln.
    »Da«, wiederholte die Kleine und lachte.
    »Wie heißt du?«
    »Da!«
    »Das ist dein Name?«
    »Ihr Name ist Marjia«, sagte Sascha gereizt.
    »Da«, sagte Marjia.
    Kalkbrenner kam ein Verdacht. »Wie alt ist Marjia?«
    »Warum wollen Sie das wissen?«
    Das Mädchen streckte die Hände aus. »Da.«
    Weil niemand ihnen einen Platz anbot, blieben sie stehen. Kalkbrenner kam zum Grund ihres Besuches zurück: »Wir wissen, dass Ihr Sohn den Lehrer nicht umgebracht hat.«
    »Mein Vater will wissen, was Sie dann noch von uns wollen?«
    »Wir müssen mit Lukaz über das reden, was er gesehen hat.«
    »Er hat nichts gesehen.«
    »Warum sagt er uns das nicht selbst?«
    »Mein Vater sagt, Sie glauben ihm doch sowieso nicht.«
    »Doch, wir glauben ihm.«
    Der Vater griff nach einer Zeitung auf dem Beistelltisch. Die Schlagzeile knallte ins Auge:
Killerschüler in Berlin!
Wie zum Beweis stierte auf einem der illustrierenden Fotos eine Gruppe Jugendlicher bedrohlich in die Kamera. Ein anderes Bild zeigte Lukaz und Asim, ihre Gesichter waren nicht unkenntlich gemacht worden. »Mein Vater will wissen: Was ist mit der Zeitung? Werden die uns glauben? Für die ist der Fall doch klar.«
    Marjia summte vor sich hin. Sie baute aus den Steinen einen Thron, auf dem ihre Puppe Platz nahm. »Da! Da!«
    Ein weiteres Geräusch mischte sich unter ihr Murmeln. Ein Schluchzen, das aus der Küche kam. Die Mutter weinte.
    »Wir müssen mit Lukaz reden«, sagte Kalkbrenner. »Wo ist er?«
    Sascha

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