Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
möchte ich in diesem Zusammenhang gar nicht erst reden.«
Kalkbrenner erwiderte nichts.
»Und warum sind Sie wirklich hier?«
Noch bevor Kalkbrenner antworten konnte, klingelte sein Handy. Es war Rita. Er drückte sie weg. Die aufmerksamen Blicke des Kollegiums hefteten sich an ihn. »Kann ich Sie gleich unter vier Augen sprechen?«
Hinter Börgers’ daumendicken Brillengläsern blitzte es gereizt. »Ich bitte sogar darum.« Er machte auf dem Absatz kehrt und rauschte von dannen.
Kalkbrenner nahm wieder neben Ernst Platz. »Sie sagten, Herr Brodbeck hätte sich von den Kollegen zurückgezogen. Gab es einen Streit?«
»Davon habe ich nichts mitbekommen.«
»Hat er sich auch von Ihnen distanziert?«
»Leider ja. Seit dem Therapieende habe ich ihn nur noch drei- oder viermal getroffen.«
»Zweimal.«
Verdutzt schaute Ernst ihn an.
»Wir haben seinen Terminkalender gefunden. Sie standen zweimal drin.«
»Dann eben zweimal. Das kann gut sein. Matthias wollte sich einfach nicht mehr verabreden.«
»Haben Sie ihn nach einem Grund gefragt?«
»Ja, das habe ich. Doch er sagte, es wäre nichts. Alles wäre in bester Ordnung.«
»Aber Sie haben ihm nicht geglaubt?«
Ein mehrtöniger Gong dröhnte durch das Gebäude. Pausenende. Die Kollegen packten ihre Taschen zusammen und begaben sich langsam zur Tür, nicht ohne den beiden einen letzten skeptischen Blick zuzuwerfen. »Nein, nicht wirklich. Aber er wirkte auch nicht so, als wollte er darüber reden. Also beließ ich es dabei und dachte mir, dass er sich schon melden wird, wenn alles wieder im Lot ist. Oder wenn er meine Hilfe braucht. Immerhin war er lange Zeit krank gewesen und hatte sicherlich privat einiges zu erledigen.«
»Zum Beispiel mit seiner Frau?«
»Ich sagte doch, er hat nicht darüber gesprochen.«
»Kannten Sie seine Frau?«
»Ja, natürlich. Judith. Ich bin ihr einige Male begegnet.«
»Wann war das?«
»Bei einem Schulfest. Während einer Schulaufführung. Später auch bei den beiden zu Hause. Matthias und Judith, meine Freundin und ich, wir sind sogar mehrmals gemeinsam essen gewesen und ins Theater gegangen.«
»Welchen Eindruck hatten Sie dabei: Waren die beiden glücklich?«
»Als ich sie zusammen erlebt habe, waren sie es. Aber das war einige Monate vor seiner Erkrankung und der Therapie. Wie es zuletzt um sie stand, tut mir leid, das weiß ich nicht. Aber warum fragen Sie Judith nicht selbst?«
59
»Wir nehmen ein Taxi«, verkündete Catharina Dossantos.
»Nein«, widersprach ihr Mann. »Zwei meiner Jungs werden euch mit dem Chrysler in die Klinik bringen.«
»Warum denn das?«
»Du weißt, was gestern passiert ist. Deshalb.«
Catharina wollte etwas erwidern, ließ es dann aber bleiben. Natürlich ging es Miguel
auch
um Sicherheit. Aber noch viel mehr um Kontrolle, heute sogar entschiedener denn je.
Miguel schob sie beiseite. »Lass mich die Tasche nehmen.«
Er wuchtete sie über seine Schulter. Auf halbem Weg nach draußen strich er die Segel. »Mein Gott, was hast du wieder alles eingepackt?«
Staub wirbelte auf, als er das Gepäck auf den Boden knallen ließ. Er wies einen seiner Bodyguards an, sich um die letzten Meter zu kümmern. So war Miguel. Immerzu gab er Anweisungen. Alle tanzten nach seiner Pfeife.
Catharina wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie fühlte sich geschmeidig an. Zum ersten Mal seit Tagen hatte sie ihr Haar nach dem Aufstehen gewaschen. Nicht nur wegen der Gelenkschmerzen hatte sie in jüngster Zeit kaum noch Lust verspürt, sich und ihren Körper zu pflegen. Für wen denn auch? »Kannst du mir bitte versprechen, dass mich die Ärzte am Mittwoch tatsächlich schon nach Hause lassen?«
Natürlich konnte er das nicht. Aber vermutlich war ihm nicht einmal ihre Veränderung aufgefallen: Sie hatte sich neue Kleider angezogen, sogar Stiefel aus Leder und mit Absatz, wie früher.
»Helft ihnen auch, die schweren Taschen in die Klinik und auf ihr Zimmer zu tragen«, wies er die beiden Männer an und baute sich gewichtig vor Catharina auf.
Er trug einen seiner teuren Anzüge, einen von den vielen, die er sich von seinem Schneider hatte anfertigen lassen. An seinen Gelenken baumelten Rolex und Goldkettchen. Er wirkte, als sei gestern nichts geschehen. Geschäftig. Routiniert. Überheblich. Gott, wie sie ihn dafür verabscheute.
Er nahm ihre Hand. »Soll ich dich besuchen kommen?«
Sie machte sich von ihm los und ignorierte ihn auf dem Weg zum Wagen.
Jetzt nicht schwach werden
. Sie nahm
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