Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
auf der Rückbank des Chrysler Platz, wollte die Tür hinter sich zuziehen.
»Catharina!«
Sie hielt inne.
»Ich komme dich am Mittwoch abholen, ja?«
»Ja«, sagte sie und wollte nicht daran denken, was bis zum Mittwoch alles passiert sein konnte. Sie hatte Angst, dass ihr Mann ihr etwas ansehen könnte. Trotzdem ertappte sie sich dabei, wie sie lächelte. Nur kurz.
Wahrscheinlich hat er es nicht einmal mitbekommen,
beruhigte sie sich.
Dann schlug die Autotür zu, und Sina setzte sich auf die andere Seite. Die Leibwächter klemmten sich auf die Vordersitze, und der Wagen wurde angelassen. Auch als die Limousine die Auffahrt zur Straße hinabrollte, blickte Catharina nicht zurück. Das, was sie an der Finca mochte, trug sie in ihrer Erinnerung, und dort war es gut aufgehoben.
Den Rest hatte sie in die Taschen gepackt. Ein paar Kleidungsstücke, Fotos, einige Bücher, die ihr am Herzen lagen.
Das stille Mädchen,
ihr Lieblingsbuch,
hielt sie mit ihren Händen fest umschlungen. Einer der zentralen Sätze des Romans war:
»Ich habe immer nach etwas gesucht«, sagte das kleine Mädchen.
Berlin zog an ihnen vorbei. Die beiden Kegeltürme am Frankfurter Tor. Der Alexanderplatz. Es war ein eigenartiges Gefühl. Vertraut und trotzdem seltsam fremd. Als wäre sie in dieser Stadt schon gar nicht mehr zu Hause.
Sie konzentrierte sich wieder auf den Roman. Sie dachte über das kleine Mädchen und ihre Worte nach. Sina schien ebenfalls geistesabwesend zu sein, noch immer wirkte die Nachricht von Samuels Tod nach. Sie hatte kein Wort darüber verloren, aber Catharina wusste, dass ihre Freundin nach dem Mord mehr denn je hinter ihrem Vorhaben stand.
Die Schmerzen in den Gelenken waren erträglich. Mit ihnen würde sie leben können. Mit Miguel dagegen hielt sie es keinen Tag länger aus.
Die Charité war ein gewaltiger Krankenhauskomplex, eine fast autarke Kleinstadt mitten in Berlin, die nur deshalb nicht auffiel, weil sie sich nahtlos in die verschrobene Hässlichkeit ihrer Umgebung einfügte.
Der Wagen hielt vor dem Eingangsportal des Hauptgebäudes. Die beiden Bodyguards ihres Mannes halfen, die Reisetaschen aus dem Kofferraum zu hieven, und wollten sie auch ins Foyer der Charité schleppen. »Stellt sie hier ab«, verlangte Catharina vor den Glastüren.
»Aber der Boss hat gesagt, dass wir …«
»Was der Boss sagt, ist mir herzlich egal. Stellt die Taschen ab und verschwindet.«
Die beiden Bulldozer wechselten irritierte Blicke. Ein Krankenwagen hielt nur wenige Meter von ihnen entfernt vor der Klinik. Eine Frau im Rollstuhl wurde von zwei Sanitätern aus dem Transporter gehoben. »Hier wird sich schon niemand an uns alten Schachteln vergehen«, sagte Catharina.
Wieder sahen sich die beiden Männer an. Dann stiegen sie in den Wagen und fuhren davon. Catharina und Sina schauten ihnen hinterher, bis der Chrysler nicht mehr zu sehen war.
»Danke, aber so alt fühle ich mich noch nicht«, beschwerte sich Sina.
»’tschuldigung«, sagte Catharina. »Ich wollte die beiden Deppen einfach nur loswerden. Ich bin total aufgeregt. Mein Herz pocht so laut, dass die das glatt gehört hätten.«
»Beruhige dich. Nicht mehr lange, und du bist in Sicherheit.«
Catharina griff in die Jackentasche. Sie brachte ein Handy zum Vorschein. Sina hatte es ihr eigens für diesen Anlass besorgt. Miguel wusste nichts davon. Aber er wusste sehr vieles nicht. Auch nicht, dass sie die Nummer kannte, die sie jetzt eintippte. Das Mobiltelefon war kein neues Modell, sondern gut und gerne fünf Jahre alt. Aber das war egal, solange es nur seinen Zweck erfüllte.
Ein Krankenwagen fuhr mit heulender Sirene vor. Catharina suchte Zuflucht im Eingangsbereich, wo es ruhiger war. Das Gehen fiel ihr erstaunlich leicht. Das wunderte sie kaum. Vieles ihrer Krankheit war in den letzten Wochen und Monaten nicht echt gewesen. Es war ihr leichtgefallen. Eine gute Prostituierte war immer auch eine gute Schauspielerin. Nur so hatte sie ihren Mann in dem Glauben lassen können, sie sei so krank, dass ein weiterer Besuch in der Klinik unausweichlich sei.
Ein anderer wichtiger Satz in ihrem Lieblingsbuch lautete:
Wenn ich mal Probleme bekomme, wenn es richtig schlimm wird, kommst du mir dann helfen?
Sie drückte die grüne Taste ihres Handys. Das Freizeichen ertönte.
60
Die Wut des Schulleiters Dr. Edgar Börgers war noch nicht verraucht, als Kalkbrenner ihm im Büro seine Aufwartung machte. »Warum ist die Polizei erneut im Haus?«
Kalkbrenner wählte
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