Gier, Kerstin
wieso tanzten die Leute schon in der
Eingangshalle? Warum waren es überhaupt so viele? Und woher kam das Gelächter?
Auf Cynthias Party wurde normalerweise nicht gelacht, höchstens ab und zu
hinter vorgehaltener Hand. Wenn es das Wort »Langeweile« nicht schon gegeben
hätte, wäre es mit Sicherheit auf einer von Cynthias Partys erfunden worden.
»Ihr seid
grün, also immer hereinspaziert!«, krähte Cynthias Bruder und drückte mir ein
Glas in die Hand. »Hier! Grüne Monsterbowle. Sehr gesund. Reiner Fruchtsaft,
frisches Obst, grüne Lebensmittelfarbe - aber bio! - und ein winziges
Schlückchen Weißwein. Auch bio natürlich.«
»Sind eure
Eltern übers Wochenende verreist?«, erkundigte ich mich und versuchte, die
Stoffmengen meiner Sisi-Robe irgendwie durch die Tür zu bekommen.
»Was?«
Ich
wiederholte meine Frage mit zehn Dezibel mehr.
»Nee, die
müssen hier irgendwo rumschwirren.« Die Aussprache des Gartenzwerges war ein
wenig schwammig. »Sie haben sich gestritten, weil Dad vorhin unbedingt mit den
grünen Sojabällchen jonglieren musste und dann alle aufgefordert hat, es ihm
nachzumachen. Derjenige, der einen Treffer auf Mums Kopfbedeckung landete,
sollte einen Preis bekommen. Hey, Muriel, was willst du denn im Wandschrank?
Die Toilette ist dort drüben.«
»Okay -
hier läuft definitiv was falsch«, sagte ich zu Gideon. Ich musste schreien,
damit er mich verstehen konnte. »Normalerweise müssten die Leute steif wie
Brokkoli in Grüppchen beisammenstehen und auf Mitternacht warten. Und
versuchen, Cynthias Eltern zu entkommen, die einen sonst zu netten Spielen
nötigen, die nur ihnen selber Spaß machen.«
Gideon
nahm mir das Glas aus der Hand und probierte einen Schluck. »Ich würde sagen,
hier hast du deine Erklärung«, erwiderte er dann grinsend. »Ein winziges
Schlückchen Weißwein? Ich schätze, die Hälfte davon ist Wodka. Mindestens.«
Okay, das
erklärte einiges. Ich spähte zur Tanzfläche im Wohnzimmer hinüber, wo Cynthias
Mum, verkleidet als Freiheitsstatue, ziemlich wild tanzte. »Lass uns nach
Leslie und Raphael suchen und schleunigst wieder abhauen«, sagte ich.
Gideon
wurde von einer Paprikaschote gerammt.
»'tschuldigung«,
murmelte Sarah, die in die Paprikaschote eingenäht war, aber dann weiteten sich
ihre Augen. »Oh mein Gott - bist du echt?« Sie bohrte prüfend ihren Zeigefinger in Gideons
Jacke.
»Sarah,
hast du Leslie irgendwo gesehen?«, fragte ich genervt. »Oder bist du zu
betrunken, um dich zu erinnern?«
»Ich bin
stocknüchtern!«, rief Sarah. Sie taumelte so, dass sie hingefallen wäre, wenn
Gideon sie nicht aufgefangen hätte. »Ich beweise es dir: Der Kaplan klebt
Pappplakate an. Der Kaplan klebt Pappplakate an! Mach mir das erst mal nach!
Das kann man nämlich nicht sagen, wenn man betrunken ist. Stimmt's?« Sie warf
einen schmachtenden Blick auf Gideon, der aussah, als würde er sich köstlich
amüsieren. »Wenn du ein Vampir bist, darfst du mich gerne beißen.«
Für einen
Moment war ich versucht, Gideon das Glas zu entreißen und die Monsterbowle auf
Ex zu kippen. Diese lärmende, brodelnde grüne Hölle hier war das reinste Gift
für meine angeschlagenen Nerven.
Wir hatten
eigentlich nicht mehr vorgehabt, noch auf die Party zu gehen, Sisi-Kleid hin
oder her. Nachdem wir uns aus unseren Jahrhundertwende-Kostümen geschält und
die Kirche verlassen hatten, hatte ich mich immer noch furchtbar zittrig
gefühlt von dem Gespräch mit Lucy und Paul. Ich wollte nur noch eins - mich in
mein Bett verkriechen und erst wieder hervorkommen, wenn das Ganze vorbei war.
Oder wenigstens (die Bett-Version hatte ich schnell als unrealistisch abgetan)
meinem überforderten Gehirn in ruhiger Atmosphäre eine Runde strukturierte
Überlegungen gönnen. Mit Zetteln und Kästchen und Pfeilen, möglichst in
verschiedenen Farben. Pauls Vergleich mit der U-Bahn, die jemand in unseren
Köpfen baute, fand ich sehr passend. Fehlte nur noch der Streckenplan.
Aber
Leslie hatte mir vier SMS geschickt, in denen sie unsere Anwesenheit auf der
Party eingefordert hatte. Vor allem die letzte las sich irgendwie dringlich. »Ihr
bewegt besser schnell euren Hintern her, sonst kann ich fiir nichts mehr garantieren.«
»Wow!
Gwenny!« Das war Gordon Gelderman, in einem Overall aus Kunstrasen. Er glotzte
auf mein Sisi-Dekollete und pfiff durch seine Zähne. »Ich habe ja immer
gewusst, dass unter deiner Bluse mehr steckt als ein gutes Herz!«
Ich
verdrehte meine Augen. Gordon konnte ja
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