Gier, Kerstin
viel Zucker und heißer Zitrone.«
»Nein -
bitte!« Gideon schüttelte verzweifelt den Kopf. »Damit können wir uns nicht
aufhalten. Ich weiß nicht genau, ob ich den richtigen Zeitpunkt gewählt habe,
aber ich hoffe inständig, dass Pauls und mein Zusammentreffen im Jahr 1782 von
euch aus gesehen bereits stattgefunden hat.«
Lucy, die
ihre Fassung zurückgewonnen hatte, neigte langsam den Kopf und Gideon atmete
erleichtert auf. »Dann ist euch ja klar, dass ihr mir die geheimen Papiere des
Grafen überlassen habt. Wir haben etwas Zeit gebraucht, um alles zu verstehen,
aber jetzt wissen wir, dass der Stein der Weisen kein Allheilmittel für die
Menschheit darstellt, sondern allein dem Grafen Unsterblichkeit bringen soll.«
»Und dass
seine Unsterblichkeit mit dem Augenblick von Gwendolyns Geburt beendet sein
wird?«, hauchte Lucy. »Weshalb er versucht, sie zu töten, sobald der Kreis
geschlossen ist?«
Gideon
nickte, doch ich schaute ihn irritiert an. Dieses Detail hatten wir bislang
viel zu kurz diskutiert. Aber jetzt schien auch nicht der richtige Zeitpunkt zu
sein, denn er fuhr bereits fort: »Euch ging es immer nur darum, Gwendolyn zu
schützen.«
»Siehst
du, Luce - ich habe es dir doch gesagt.« Paul war in der Tür aufgetaucht. Er
trug seinen Arm in einer Schlinge, und während er näher kam, wanderte der Blick
seiner goldfarbenen Augen zwischen Gideon, Lucy und mir hin und her.
Ich hielt
den Atem an. Er war nur ein paar Jahre älter als ich und im normalen Leben
hätte ich gedacht, wie blendend er aussah, mit diesem rabenschwarzen Haar, den
ungewöhnlichen Villiers-Augen und dem kleinen Grübchen auf dem Kinn. Für die
Koteletten konnte er hoffentlich nichts, vermutlich trug man das in dieser
Zeit so. Aber Koteletten hin, Koteletten her, wie mein Vater - oder irgendjemandes
Vater, wenn man es denn so wollte - sah er nun wirklich nicht aus.
»Manchmal
lohnt es sich eben, Menschen einen Vertrauensvorschuss zu gewähren«, sagte er
und musterte Gideon von Kopf bis Fuß. »Auch kleinen Mistkerlen wie dem da.«
»Manchmal
hat man aber auch einfach nur unverschämtes Glück«, fauchte Lucy ihn an. Sie
wandte sich an Gideon. »Ich danke dir sehr, dass du Paul das Leben gerettet
hast, Gideon«, sagte sie würdevoll. »Wenn du nicht zufällig dort vorbeigekommen
wärst, dann wäre er jetzt tot.«
Ȇbertreib
doch nicht immer so, Lucy.« Paul zog eine Grimasse. »Ich wäre schon irgendwie
aus dieser Nummer rausgekommen.«
»Ja,
klar«, sagte Gideon mit einem Grinsen.
Paul
runzelte die Stirn, aber dann grinste er auch. »Na gut, wahrscheinlich nicht.
Dieser Alastair ist ein hinterhältiger Hund und ein verflucht guter
Degenfechter dazu. Und dann waren sie ja auch zu dritt! Sollte ich ihm jemals
wieder begegnen ...«
»Das ist
eher unwahrscheinlich«, murmelte ich, und als Paul mich fragend ansah, ergänzte
ich: »Gideon hat ihn im Jahr 1782 mit einem Säbel an die Tapete genagelt. Und
wenn Rakoczy ihn dort rechtzeitig gefunden hat, wird er diesen Abend wohl nicht
überlebt haben.«
Lady
Tilney ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Mit einem Säbel an die Tapete
genagelt!«, wiederholte sie. »Wie barbarisch.«
»Der
Psychopath hat es nicht anders verdient.« Paul legte Lucy eine Hand auf die
Schulter.
»Allerdings
nicht«, ergänzte Gideon leise.
»Ich bin
so erleichtert«, sagte Lucy, den Blick fest auf mein Gesicht geheftet. »Jetzt,
wo ihr wisst, dass der Graf vorhat, Gwendolyn zu töten, wenn der Kreis
geschlossen ist, wird es niemals dazu kommen!« Paul wollte etwas hinzufügen,
aber sie ließ sich nicht beirren. »Mit den Papieren dürfte es Grandpa endlich
gelingen, die Wächter davon zu überzeugen, dass wir richtig lagen und der Graf
niemals das Wohl der Menschheit im Sinn hatte, sondern immer nur sein eigenes.
Und diese idiotischen Wächter, allen voran der Widerling Marley, können die
Beweise nicht mehr von der Hand weisen. Ha! Von wegen, wir beschmutzen das
Andenken des Grafen von Saint Germain! Der ja überhaupt kein richtiger Graf
war, sondern ein Halunke sondergleichen und ach - sagte ich eigentlich schon,
dass ich so erleichtert bin, denn das bin ich, sehr sogar!« Sie holte tief Luft
und machte ganz den Eindruck, als ob sie noch Stunden so weiterreden könnte,
doch da nahm Paul sie kurz in den Arm.
»Siehst
du, Prinzessin? Es wird alles gut«, flüsterte er sanft, und obwohl das gar
nicht an mich gerichtet war, brachte es bei mir seltsamerweise das Fass zum
Überlaufen. Im wahrsten
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