Gier, Kerstin
leise zurück vor den Eingang
gleiten.
Xemerius
flog neben mir her die Treppe hinauf. »Wenn du die Rückwand von deinem
Wandschrank eindrückst - ist nur Gipskarton, das schaffst du -, kannst du von
dort in die Abseiten kriechen. Und da gibt es zahllose Versteckmöglichkeiten.«
»Für heute
Nacht schiebe ich ihn einfach unters Bett, glaube ich.« Meine Beine waren
bleischwer vor Müdigkeit. Ich hatte die Taschenlampe ausgeschaltet, den Weg ins
Schlafzimmer fand ich im Dunkeln. Wahrscheinlich auch im Schlaf. In Höhe von
Charlottes Zimmer schlief ich jedenfalls schon halb, und deshalb fiel mir vor
Schreck beinahe der Chronograf runter, als die Zimmertür aufging und mich in einem
Streifen von Licht gefangen hielt.
»Oh,
Shit«, brummte Xemerius. »Vorhin haben noch alle gepennt, ehrlich!«
»Bist du
nicht allmählich zu alt für diesen Häschenschlafanzug?«, fragte Charlotte. Sie
lehnte sich, bekleidet mit einem Spaghettiträger-Nachthemd, anmutig in ihren
Türrahmen. Die Haare fielen ihr in glänzenden Wellen über die Schultern. (Das
ist ein Vorteil von Flechtfrisuren: Sie wirken gleichzeitig wie Lockenwickler
mit eingebautem Rauschgoldengel-Effekt.)
»Spinnst
du, mich so zu erschrecken?« Ich flüsterte, damit Tante Glenda nicht auch noch
wach wurde.
»Warum
schleichst du mitten in der Nacht durch meinen Flur? Was hast du da?«
»Was soll
das heißen - dein Flur? Soll ich draußen an der Fassade hochklettern, um in
mein Zimmer zu kommen?«
Charlotte
löste sich vom Türrahmen und trat einen Schritt auf mich zu. »Was ist das unter
deinem Arm?«, wiederholte sie, diesmal drohend. Dass sie flüsterte, machte es
nur noch nachdrücklicher. Und dazu guckte sie so ... gefährlich, dass ich mich
nicht an ihr vorbeitraute.
»Oh, oh«,
sagte Xemerius. »Da leidet aber jemand ganz schlimm unter PMS. Mit der würde
ich mich heute nicht anlegen.«
Das hatte
ich auch gar nicht vor. »Meinst du meinen Bademantel?«
»Zeig mal,
was da drin ist!«, verlangte sie.
Ich machte
einen Schritt zurück. »Hast du sie nicht mehr alle? Ich zeig dir doch nicht
mitten in der Nacht meinen Bademantel. Lass mich jetzt gefälligst durch, ich
will in mein Bett!«
»Und ich
will sehen, was du da hast!«, zischte Charlotte. »Glaubst du eigentlich, ich
bin so naiv wie du? Meinst du, ich habe eure verschwörerischen Blicke und das
Getuschel nicht mitbekommen? Wenn ihr etwas vor mir geheim halten wollt, müsst
ihr schon ein bisschen raffinierter vorgehen. Was hat es mit dieser Truhe auf
sich, die dein Bruder und Mr Bernhard zu dir hinaufgetragen haben? Ist das, was
du unter deinem Arm trägst, darin gewesen?«
»Also,
dumm ist sie ja nicht«, sagte Xemerius und kratzte sich mit einem Flügel an der
Nase.
Zu einer
anderen Tageszeit und in einem wacheren Moment hätte ich sicher aus dem
Stegreif eine Geschichte erfunden, aber jetzt hatte ich schlichtweg nicht die
Nerven dazu. »Das geht dich gar nichts an!«, fauchte ich.
»Doch, das
tut es!«, fauchte Charlotte zurück. »Ich bin vielleicht nicht der Rubin und
damit kein Mitglied des Kreises der Zwölf - aber im Gegensatz zu dir denke ich
wenigstens wie eins! Ich konnte nicht alles hören, was ihr in deinem Zimmer
besprochen habt, die Türen in diesem Haus sind einfach zu massiv, aber das, was
ich verstanden habe, reicht vollkommen aus!« Sie machte noch einen Schritt auf
mich zu und zeigte auf meinen Bademantel. »Du solltest mir das da auf der
Stelle geben, wenn du nicht willst, dass ich es mir hole!«
»Du hast
uns belauscht?« Mir wurde schlagartig übel. Wie viel hatte sie mitbekommen?
Wusste sie, dass das da der Chronograf war? Der übrigens
sein Gewicht während der letzten Minute mindestens verdoppelt zu haben schien.
Ich nahm ihn für alle Fälle in beide Hände, wobei Nicks Taschenlampe zu Boden
polterte. Mittlerweile war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich wirklich
wollte, dass Tante Glenda weiterschlief.
»Wusstest
du, dass Gideon und ich zusammen in Krav Maga unterrichtet
wurden?« Charlotte machte noch einen Schritt auf mich zu und ich machte
automatisch einen zurück.
»Nein,
aber wusstest du, dass du gerade guckst wie das verrückte Nagetier in Ice
Age?«
»Vielleicht
haben wir Glück und Krav Maga ist nur harmloser Schweinkram«, sagte Xemerius.
»Wie Kamasutra! Haha!« Er kicherte, »'tschuldigung, aber die besten Witze fallen
mir immer in Extremsituationen ein.«
»Krav Maga
ist eine israelische Nahkampftechnik, sehr effektiv«, informierte mich
Charlotte.
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