Gier, Kerstin
»Ein wenig Fieber und schlimme
Kopfschmerzen - ich vermute, es ist diese Grippe, die derzeit grassiert. Kannst
du deine Cousine bitte in der Schule entschuldigen, Gwendolyn?«
Ich nickte
grimmig. Grippe - von wegen! Charlotte wollte zu Hause bleiben, um in Ruhe mein
Zimmer durchsuchen zu können.
Xemerius,
der in der Obstschüssel auf dem Frühstückstisch hockte, hatte offenbar den
gleichen Gedanken. »Ich sagte ja, dumm ist sie nicht.«
Und auch
Mr Bernhard, einen Teller mit Rührei balancierend, warf mir einen bedeutungsvollen
Blick zu.
»Die
letzten Wochen waren zu aufwühlend für das arme Mädchen«, sagte Tante Glenda
und ignorierte Nicks unhöfliches Schnauben. »Kein Wunder, dass ihr Körper
jetzt eine Auszeit verlangt.«
»Red
keinen Unsinn, Glenda«, rügte sie Lady Arista und nippte an ihrem Tee. »Wir
Montroses halten ganz andere Sachen aus. Ich für meinen Teil«, sie straffte
ihren hageren Rücken, »war noch nie einen einzigen Tag in meinem Leben krank.«
»Ehrlich
gesagt fühle ich mich auch ziemlich ... schlecht«, sagte ich. Vor allem, wenn
ich bedachte, dass man meine Zimmertür nicht mal von außen abschließen konnte.
Wie fast alle Türen in diesem Haus verfügte sie über eine altmodische
Riegelvorrichtung, die man nur von innen bedienen konnte.
Sofort
sprang meine Mutter auf und legte ihre Hand auf meine Stirn.
Tante
Glenda verdrehte die Augen. »Das ist doch wieder typisch! Gwendolyn kann es
einfach nicht ertragen, mal nicht im Mittelpunkt zu stehen.«
»Fühlt
sich kühl an.« Mum fasste mir tatsächlich an die Nasenspitze, als wäre ich
fünf Jahre alt. »Und hier trocken und warm. Wie es sein sollte.« Sie
streichelte mir übers Haar. »Am Wochenende kann ich dich mal so richtig
verwöhnen, wenn du willst. Wir könnten im Bett frühstücken ...«
»Au ja und
du liest uns Geschichten von Peter, Flopsy, Mopsy und Cotton Tail vor, wie
früher«, sagte Caroline, die das Häkelschwein auf ihrem Schoß sitzen hatte.
»Dann füttern wir Gwenny mit Apfelschnitzen und machen ihr kalte Wickel.«
Lady
Arista legte eine Gurkenscheibe auf ihren Toast, auf dem sich bereits in
äußerst akkurater Anordnung Käse, Schinken, Rührei und Tomate stapelten.
»Gwendolyn, du siehst kein bisschen krank aus, eher wie das blühende Leben.«
Nicht zu
fassen! Da konnte man vor Müdigkeit kaum die Augen aufhalten und sah aus, als
hätte einen ein Vampir gebissen - und dann so was!
»Ich bin
heute den ganzen Tag im Haus«, sagte Mr Bernhard. »Ich kann Miss Charlotte mit
heißer Hühnersuppe versorgen.« Obwohl er es zu Tante Glenda sagte, war es an
mich gerichtet und ich verstand ihn nur zu gut.
Aber
leider hatte Tante Glenda andere Pläne für ihn. »Ich kümmere mich schon um
meine Tochter. Sie müssen ins Atelier Waiden-Jones fahren und meine
Bestellungen und Charlottes Party-Kostüm abholen.«
»Das ist
in Islington«, sagte Mr Bernhard und sah mich besorgt an. »Da werde ich einige
Zeit außer Haus sein.«
»Ja,
allerdings.« Tante Glenda runzelte befremdet die Stirn.
»Auf dem
Rückweg könnten Sie Blumen mitbringen«, sagte Lady Arista. »Ein paar
frühlingshafte Arrangements für die Eingangshalle, den Esstisch und das
Musikzimmer. Nichts Grelles, keine ordinären Papageientulpen wie neulich, mehr
Weiß- und zarte Gelb- und Fliedertöne.«
Mum
verteilte Abschiedsküsse an uns alle. Sie musste zur Arbeit. »Wenn Sie
Vergissmeinnicht finden, könnten Sie mir ein paar Töpfchen mitbringen, Mr
Bernhard. Oder Maiglöckchen, falls es schon welche gibt.«
»Sehr
wohl«, sagte Mr Bernhard.
»Ja, und
wenn sie schon dabei sind, besorgen Sie doch auch gleich ein paar Lilien, die
kann man dann auf mein Grab pflanzen, wenn ich gestorben bin, weil man mich
krank in die Schule geschickt hat«, sagte ich mürrisch, aber da war meine
Mutter schon aus der Tür.
»Ach, mach
dir keine Sorgen«, versuchte Xemerius mich aufzumuntern. »Wenn der rothaarige
Besen zu Hause bleibt, kann Charlotte auch nicht einfach so in dein Zimmer
spazieren. Und selbst wenn: Auf die Idee, die Rückwand von deinem Wandschrank
wegzuklappen und in die Abseiten zu kriechen, muss sie erst mal kommen. Aber
auch dann wird sie nie im Leben den Mut aufbringen, dem Krokodil in die Eingeweide
zu packen. Na, bist du jetzt froh, dass ich dich heute Nacht noch überredet
habe, das Ding aufzuschlitzen?«
Ich
nickte, obwohl es mich bei der Erinnerung an den finsteren Kriechwinkel und
die Spinnweben innerlich schüttelte, und natürlich war
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