Gier, Kerstin
»Und ich darf nicht dabei sein - Ihretwegen« hing so deutlich in der Luft, als hätte er es ausgesprochen.
Verteidigungsministerium?
Warum das denn? Mr beleidigte Leberwurst brauchte ich wohl nicht erst zu
fragen, so wie er drauf war, würde er mir ganz bestimmt nichts verraten. Er
schien überhaupt beschlossen zu haben, dass es besser wäre, gar nicht mehr mit
mir zu sprechen. Mit spitzen Fingern verband er mir die Augen und führte mich
wortlos durch das Labyrinth der Kellergänge, eine Hand an meinem Ellenbogen,
die andere an meiner Taille. Mit jedem Schritt wurde mir dieser Körperkontakt
unangenehmer, zumal seine Hände heiß und verschwitzt waren. Ich konnte es kaum
erwarten, sie abzuschütteln, als wir endlich die Wendeltreppe hinauf ins Erdgeschoss
erklommen hatten. Aufseufzend nahm ich die Augenbinde ab und erklärte, dass
ich von hier allein zur Limousine finden würde.
»Das habe
ich noch nicht erlaubt«, protestierte Mr Marley. »Außerdem ist es meine
Aufgabe, Sie bis vor Ihre Haustür zu begleiten.«
»Lassen
Sie das!« Ich schlug gereizt nach ihm, als er Anstalten machte, mir das Tuch
erneut um den Kopf zu binden. »Den Rest des Weges kenne ich ohnehin schon. Und
wenn Sie unbedingt bis vor die Haustür mitkommen müssen, dann ganz bestimmt
nicht mit Ihrer Hand um meine Taille.« Ich setzte mich wieder in Bewegung.
Mr Marley
folgte mir, empört schnaufend. »Sie tun ja geradezu so, als hätte ich Sie
unsittlich berührt!«
»Ja,
genau«, sagte ich, um ihn zu ärgern.
»Also, das
ist ja wirklich ...«, rief Mr Marley aus, aber seine Worte wurden von Geschrei
mit starkem französischen Akzent übertönt.
»Sie
werden es nicht wagen, einfach ohne diese Kragen davonzustolzieren, junger
Mann!« Vor uns war die Tür zum Schneideratelier aufgeflogen und Gideon kam
heraus, dicht gefolgt von einer wütend aussehenden Madame Rossini. Sie
fuchtelte mit den Händen und einem weißen Stoffgebilde in der Luft herum.
»Bleiben Sie 'ier! Glauben Sie, isch 'abe diese Kragen nur aus Spaß genäht?«
Gideon war
bereits stehen geblieben, als er uns bemerkt hatte. Ich war auch stehen
geblieben, nur leider nicht so lässig, sondern eher salzsäulenmäßig. Und zwar
nicht, weil ich von seiner merkwürdigen gepolsterten Jacke überrascht war, in
der er Schultern wie ein Ringer auf Anabolika hatte, sondern weil ich
offensichtlich bei keiner unserer Begegnungen etwas anderes zustande brachte
als Glotzen. Und Herzklopfen.
»Als ob
ich Sie freiwillig anfassen würde! Das mache ich doch
nur, weil ich es tun muss«, zeterte Mr
Marley hinter mir und da zog Gideon eine Augenbraue nach oben und lächelte mich
spöttisch an.
Ich
beeilte mich, ebenso spöttisch zurückzulächeln, und ließ meinen Blick dabei so
langsam wie möglich von der bekloppten Jacke über die lustige Pumphose und die
bestrumpften Waden bis hinab zu den Schnallenschuhen gleiten.
»Authentizität,
junger Mann!« Madame Rossini fuhrwerkte immer noch mit dem Kragen in der Luft
herum. »Wie oft soll ich Ihnen das noch erklären? Ah, da ist ja auch mein armes
krankes Schwanen'älschen.« Ein Strahlen breitete sich auf ihrem runden Gesicht
aus. »Bonsoir, ma petite. Sag dem Dummkopf, dass er mich nicht wütend machen
soll.« (Sie sagte misch und nischt.)
»Schon gut.
Geben Sie das Ding her.« Gideon ließ sich von Madame Rossini den Kragen
umlegen. »Obwohl mich ja ohnehin kaum jemand zu Gesicht bekommt - und selbst
wenn: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute Tag und Nacht so ein
steifes Ballettröckchen um den Hals gebunden hatten.«
»Doch, das
'atten sie - jedenfalls bei 'ofe.«
»Ich
versteh gar nicht, was du hast. Es steht dir super«, sagte ich mit einem
richtig fiesen Grinsen. »Dein Kopf sieht aus wie eine riesige Praline.«
»Ja, ich
weiß.« Gideon grinste auch. »Ich bin zum Anknabbern. Aber es lenkt wenigstens
von den Pumphosen ab, hoffe ich.«
»Die sind
sehr, sehr sexy«, behauptete Madame Rossini und da musste ich leider kichern.
»Freut
mich, dass ich dich ein bisschen aufheitern konnte«, sagte Gideon. »Madame
Rossini - mein Umhang!«
Ich biss
mir auf die Unterlippe, um das Kichern zu stoppen. Das fehlte noch, dass ich
mit diesem Mistkerl herumalberte, als ob nichts gewesen wäre. Als ob wir
wirklich Freunde wären. Aber es war schon zu spät.
Im
Vorbeigehen streichelte er über meine Wange und das geschah so schnell, dass
ich zu keiner Reaktion fähig war. »Gute Besserung, Gwen.«
»Ah, da
geht er! Stilecht seinem
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