Gier nach Blut
angewachsen.
Schmerzen spürte sie kaum, aber da war etwas, das sie drückte, als sollte der Schädel gesprengt werden. Sie stöhnte leise.
Sekundenlang blieb sie auf dem Bauch liegen. Sie hielt die Augen offen, ohne etwas sehen zu können, und das wiederum konnte sie ebenfalls nicht richtig nachvollziehen. Mit ihr war etwas geschehen, das den normalen Rahmen sprengte. Sie ging von einem Überfall aus. Gut, damit mußte man immer rechnen. Aber dieser Überfall war anders gewesen.
Man hatte ihr nichts gestohlen, sie besaß ihr Geld noch, ihre Schlüssel, sie war einfach nur eingesperrt worden und wußte nicht mal, wo das gewesen war.
Die Erinnerung war zwar vorhanden, aber sie war halt zu schwammig.
Konnte es sein, daß man sie in einen Keller gesteckt hatte?
Nein, da hätte sie sich anders gefühlt. Es mußte ein völlig fremder Ort sein, und auch der Geruch störte sie. Es war nicht der Kellergestank. Sie glaubte, daß die Luft nach Auto roch. Ja, schlicht und einfach nach Auto, denn Fahrzeuge hatten ihren bestimmten Geruch, und den kannte die Frau auch.
Noch lag sie auf dem Rücken. Sie sah nichts und glaubte trotzdem daran, nicht in einen Kofferraum zu liegen. So dumpf kam ihr das Gefängnis nicht vor.
Mit einer müde anmutenden Bewegung rollte sie sich auf die Seite.
Kopfschmerzen plagten sie. Dort hatte sie der Kerl geschlagen. Sie erinnerte sich nicht mal an sein Gesicht, es war alles zu schnell abgelaufen, aber sie fragte sich, was man mit ihr vorhatte. Das hier war kein normaler Überfall, es glich schon einer Entführung. Sollte das tatsächlich zutreffen, dann hatten sich die Typen geirrt, denn bei ihr war nichts zu holen.
Sie wälzte sich mühsam auf die Seite und zwinkerte, weil etwas Helligkeit an ihre Augen gedrungen war. Sie sah die blassen Streifen auf dem Boden, die unter einer Türritze herfielen.
Da war ein Ausgang.
Plötzlich strömte Hoffnung zurück. Anita Marquez gehörte zu den zähen Frauen, an denen sich viele Männer ein Beispiel nehmen konnten. Sie war ein starker Typ, das hatte sie in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, und sie gehörte nicht zu den Menschen, die so leicht aufgaben. Wo Licht ist, gibt es Hoffnung, und eine Tür war nicht nur zu schließen, sie ließ sich auch öffnen.
Erst stemmte sich die Frau mit beiden Armen hoch, verlagerte das Gewicht dann auf eine Hand und streckte die andere aus, weil sie irgendeinen Riegel oder Griff ertasten wollte.
Sie fand ihn auch, schloß die Finger darum.
Ihre Freude verwandelte sich in Trauer und Wut zugleich. Sie merkte, daß sie ohne Werkzeug nichts schaffen konnte, deshalb verlor sie für eine Weile den Mut.
Dicht vor der rückseitigen Tür sackte sie zusammen, zischend strömte der Atem über ihre Lippen. Vor Zorn ballte sie die Hände. Sie hätte sich selbst irgendwo hinbeißen können. Daß die Tür verschlossen war, ließ darauf schließen, daß hinter ihrer Entführung Methode steckte. Aber welche und warum gerade sie?
Erst jetzt dachte sie wieder an den Anruf ihrer Tochter. Elvira hatte sie warnen wollen, während sie gleichzeitig fragte. Sollten da gewisse Dinge zusammenkommen? Hatte der Anruf indirekt mit ihrer Entführung zu tun und möglicherweise auch etwas mit dem Fluch aus der Vergangenheit, über den sie immer gelacht hatte?
Seltsam, auf einmal sah Anita die Dinge aus einem anderen Blickwinkel.
Es gab den Fluch, das stand fest. Es gab auch das Versprechen dieser Sarah Helen Roberts, nach achtzig Jahren zurückzukehren, und auch diese Zeit war so gut wie um.
Das war doch Legende – oder?
Plötzlich rann etwas kalt über den Körper und hinterließ einen dicken Schauer. Es war bei ihr schon keine Annahme mehr, sondern ein bestimmtes Wissen, und sie rechnete damit, daß irgendwelche Fäden gezogen worden waren, in deren Netz sie sich dann verstrickte.
Anita hörte etwas.
Es war nicht ihr eigener Atem, es hatte auch nicht mit ihrem geflüsterten Fluch zu tun, dieses Geräusch war einfach anders, es war fremd, stammte nicht von ihr, war aber in ihrer Nähe aufgeklungen.
Ein Schaben oder…
Sie drehte sich um.
Aus weit geöffneten Augen starrte sie dorthin, wo das Fahrerhaus lag, das sie aber nicht sehen konnte, denn auf der Ladefläche ballte sich die Dunkelheit zusammen. Sie war wie ein schwarzer Nebel, in dem sich nichts abzeichnete, selbst die inneren Wände dieser Ladefläche waren nicht zu sehen.
Aber Anita spürte, daß sie nicht mehr allein war. In ihrer Nähe gab es noch eine Person.
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