Gier
denn sie ahnte, dass ihr Leben von diesem Wissen abhängen würde. Aber sie wollte nicht nachfragen. Sie hatte den Eindruck, dass er dann noch schweigsamer werden würde.
Im Auto herrschte Stille, bis sie ein kleines Dorf dreiÃig Kilometer südlich von Rom erreichten. Dort bog Donatella Bruno plötzlich in einen kleinen Waldweg ein und hielt geradewegs auf eine Dreiergarage zu, die völlig einsam mitten im Nirgendwo stand. In der Garage parkten bereits zwei Wagen.
»Beide Autos sind aus dem Diebesgutbestand in Rom«, erklärte Donatella. »Es besteht keinerlei Verbindungslinie zwischen ihnen und der Polizei. Falls sie einen Sender oder, tja, was weià ich, eine Bombe in unseren Wagen montiert haben sollten â er bleibt jedenfalls hier. Wir werden die beiden anderen Wagen nehmen. Und ich wünsche euch viel Glück.«
Sie verabschiedeten sich von Donatella Bruno. Dann fuhr ein Auto in Richtung Norden, das andere nach Süden.
Im Wagen gen Süden herrschte konzentriertes Schweigen. Potorac war sich nicht ganz sicher, ob Tebaldi ihre Anwesenheit überhaupt bewusst war. Sie sah ihn von der Seite an. Seine gesamte Körperhaltung vermittelte absolute Konzentration.
Die Frühlingssonne schien heià auf die süditalienische Landschaft, die drauÃen vor dem Wagenfenster dahinzog. Ihr Licht war erstaunlich blass, aber unbarmherzig. Es war eine karge, eine derbe Landschaft.
Keiner von ihnen sagte etwas. Sie fuhren Kilometer um Kilometer.
In der Ferne schwebte Neapel vorbei. Ãber der wie verzaubert anmutenden Lichtkuppel der Metropole konnten sie die herannahende Dunkelheit ausmachen. Sie war ebenso unbarmherzig wie das Sonnenlicht.
Fabio Tebaldi fuhr die A30 entlang, und als die StraÃe parallel zur Amalfiküste verlief, wurden sie geradezu überwältigt von ihrer Schönheit. Das Tyrrhenische Meer erstrahlte vor ihnen im diesigen Dämmerlicht, das alle Farben des Regenbogens in sich vereinte. Für einen kurzen Augenblick waren sie von reinem Glanz umgeben. Dann schwenkte die Autobahn abrupt wieder ins Landesinnere und nach Eboli, der Stadt, in der Christus niemals Station gemacht hatte, nach Contursi Terme, wo die Erblichkeit der Parkinsonâschen Krankheit festgestellt worden war, und nach Buccino mit der antiken römischen Brücke über den Tanagro. Hier endete die Autobahn, und immer enger werdende StraÃen führten in die Berge hinauf. Potenza wurde in der Ferne sichtbar und breitete sich schlieÃlich wie ein Butterklumpen über das Tal aus. Sie fuhren auf schmalen Wegen weiter. Nun war die Dunkelheit längst hereingebrochen, und vereinzelte Scheinwerferpaare leuchteten ihnen entgegen, bis sich schlagartig das laute Dröhnen eines vorbeifahrenden Autos vernehmen lieÃ. Die Serpentinen lagen in absoluter Dunkelheit, immer seltener kurz erhellt von den perlenartigen Lichtflecken ländlicher Gehöfte.
Potoracs forschender Blick ruhte auf Tebaldis scharf geschnittener Silhouette. Allmählich wurde ihr klar, dass sie ihr Leben in seine Hände gelegt hatte. Und dass sie keine Ahnung hatte, was diese Hände genau vorhatten. Und dennoch hatte sie Vertrauen.
Ein noch schmalerer Waldweg ohne Wendemöglichkeit. Und dann plötzlich eine Hütte, im Dunkeln kaum erkennbar. Tebaldi hielt an und richtete die Nebelscheinwerfer auf die Holzfassade. Nichts bewegte sich. Mit gezogener Waffe glitt er aus dem Wagen. Potorac hielt sich dicht hinter ihm, ebenfalls die Waffe in der Hand. Der Geruch nach Pinienwald und Mittelmeer war überwältigend. Die Scheinwerfer des Wagens waren immer noch auf die kleine Hütte gerichtet. AuÃerhalb der Lichtkegel bemerkte sie Bewegungen in der Dunkelheit. Tiergeraschel, kleine Vögel, Kriechtiere. Tebaldi hatte die Tür erreicht. Er zählte bis zur vierzehnten Planke von unten und drückte darauf. Die Planke lieà sich wie an unsichtbaren Angeln nach innen klappen. In einer Vertiefung dahinter lag ein Schlüssel. Tebaldi nahm ihn und senkte die Waffe. Er hielt sie auf Hüfthöhe, während er die Tür aufschloss. Potorac gab ihm Deckung. Sie hatte das Gefühl, als würden sie schon seit Jahren zusammenarbeiten.
In der Hütte gab es keinen Strom. Die Scheinwerfer des Wagens erleuchteten die einfach eingerichtete Unterkunft, sie bestand aus einem einzigen groÃen Raum. Tebaldi nahm eine Ãllampe aus einem Schrank, dann noch eine und schlieÃlich eine dritte.
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