Gier
Er zündete sie mit einem Feuerzeug an und stellte sie auf den einzigen Tisch. Die drei Ãllampen erleuchteten einen Aktenordner. Auf seinem Deckel war der Abdruck eines Kaffeebechers. Tebaldi nickte kurz.
Sie gingen hinaus, holten ihr Gepäck, schalteten die Scheinwerfer des Wagens aus und kehrten in die Hütte zurück. Tebaldi öffnete einen anderen Schrank und holte eine Flasche Rotwein heraus. Dann schenkte er zwei Gläser ein und erhob seines. Potorac erhob ihres.
»Der Kaffeefleck ist das Zeichen«, erklärte Fabio Tebaldi, nachdem er den Wein eine Weile im Mund bewegt hatte.
»Das Einzige, auf das du dich verlassen kannst?«, fragte Potorac.
»Ja«, antwortete Tebaldi und sah sie zum ersten Mal seit, tja, seit Schiphol direkt an. »Aber jetzt verlasse ich mich auÃerdem auf dich, Potorac.«
»Alles andere wäre auch ziemlich dumm«, entgegnete Lavinia Potorac und lächelte schief.
»Ja«, stimmte Tebaldi zu und lächelte ebenso schief, während er aufstand und auf eine Küchenbank zuging, die an der Wand stand. Er hob die Holzklappe prüfend an, sie lieà sich knarrend öffnen. Tebaldi betätigte erneut sein Feuerzeug. Das Licht der Flamme glitt über ein ansehnliches Waffenarsenal.
Er klappte die Holzbank wieder zu, kam zum Tisch zurück, öffnete den Ordner und breitete eine Reihe von Plänen, Dokumenten und Fotografien auf dem Tisch aus. Er deutete auf ein Foto, das ein halb überwuchertes schlossähnliches Gebäude zeigte.
»Hier ist es«, sagte er.
»Die IP-Adresse?«, fragte Potorac. »Sieht nicht gerade bewohnt aus.«
»Absolut nicht«, bestätigte Tebaldi.
»Was wissen wir?«
»Liegt auf einer Anhöhe, seit dem 15. Jahrhundert befestigt. Und seitdem im GroÃen und Ganzen auch wieder verlassen. Aber mit Internetanschluss. Seit fast einem Jahrhundert kein registrierter Besitzer mehr. Wird in den offiziellen Unterlagen als âºRuineâ¹ bezeichnet. Eine Ruine auf dem Grund und Boden eines örtlichen GroÃbauern.«
»Es gibt nur diese Pläne«, sagte Potorac und blätterte den Stapel durch.
»Schlechte Pläne«, ergänzte Tebaldi. »Bullshit. Aber wir müssen uns irgendwie mit ihnen behelfen.«
Potorac nahm einen Schluck Wein und sagte: »Wenn dieses Schloss wirklich der âNdrangheta gehört, wird es intensiv überwacht sein, jede Menge Bewegungsmelder, überall Kameras, Hunde, Elektrozäune. Dann ist die einzige Möglichkeit, sich zu nähern, ein schwer bewaffneter Angriff eines Einsatzkommandos der Carabinieri.«
Tebaldi nickte. »Das habe ich zuerst auch gedacht«, meinte er. »Aber dem ist nicht so. Die âNdrangheta hat gar keinen Grund, dieses alte Schloss in einem völlig öden Gebiet weit entfernt von Kalabrien irgendwie zu sichern. So gut kenne ich sie mittlerweile. Ihre Macht gründet sich auf das Prinzip der Nähe, eine Moral, die man in den isoliert liegenden Bergdörfern Kalabriens pflegt. Es handelt sich um Familien, â Ndrine . Ich will dich nicht mit der gesamten Geschichte langweilen, aber um es kurz zu machen, die âNdrangheta besteht aus etwa hundert Familien, die jeweils eine eigene Stadt oder ein Dorf dominieren. Man wird sozusagen direkt in die Mafia hineingeboren, und man kann ihr nicht entkommen.«
»Und das bedeutet ...?«
»Dass dieses Schloss nicht ihnen gehört. Es ist allenfalls ein Safe House . Wahrscheinlich aber nicht einmal das.«
»Und was können wir hoffen, dort zu finden?«, fragte Potorac.
»Ich habe mich wegen dieser Frage schon halb tot gegrübelt«, antwortete Tebaldi. »Damit habe ich mich auf dem ganzen Weg hierher beschäftigt.«
»Du warst in der Tat etwas abwesend ...«
»Also: Der Handyempfang in dieser Gegend ist ziemlich miserabel«, sagte Tebaldi. »Das heiÃt, wenn man hier oben Internet haben will, muss man einen festen Anschluss installieren. Aber die Ruine besitzt keine eigene Telefonnummer. Was wir hier allerdings haben, ist echtes Breitband, Glasfaser. Sie wollten mit ihrem Internetanschluss wohl wirklich auf Nummer sicher gehen. Aber warum nur, zum Teufel?«
»Wenn man einen richtigen Breitbandanschluss besitzt, kann man schlieÃlich weltweit kommunizieren. Und genau das benötigen sie.«
»Aber ist es nicht auch sonst ein ziemlich merkwürdiges Safe House ?«, fragte Tebaldi. »Zu
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