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Gier

Gier

Titel: Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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kreisförmig über die Wände.
    Ein Schlafzimmer hinter einer halb geöffneten Tür. Musikposter an den Wänden, Indiemusik aus den Neunzigern, The Smiths, Belle and Sebastian, Björk, Blonde Redhead. Kyles Jugendzimmer. Auch hier war keiner, allerdings war das Bett ungemacht. Neben dem Bett lag eine Zeitung, die Veranstaltungsseiten aufgeschlagen. Der Schein der Taschenlampe fiel auf die New York Times vom Samstag, den elften April.
    Heute.
    Heute, dachte Marek Kowalewski und entsicherte seine Pistole. Ein leises Klicken hallte durch das leere Haus.
    Er zog sich wieder zurück in den Flur. Die Lichtkreise zitterten immer stärker.
    Da war eine weitere Tür. Die Badezimmertür. Das Schloss leuchtete weiß. Er drehte den Türgriff lautlos herum. Warum lautlos?, dachte er und schaute hinein.
    Das Badezimmer war leer. Die Badewanne kam ihm wie ein offener Schlund vor.
    Daneben lag eine weitere Tür, das Schloss war ebenso weiß. Da sich hinter der vorigen das Badezimmer befunden hatte, war dies hier wahrscheinlich die Toilette.
    In der Tat. Eine kleine Toilette. Die Frau saß vollständig angezogen auf dem Toilettensitz. Um ihren Hals ein Stahldraht gezogen. Ihr Gesicht war rot und angeschwollen, die Augen waren kurz davor, aus den Höhlen zu treten.
    Kowalewski richtete den Lichtstrahl direkt auf ihr Gesicht. Er hörte sich selbst aufstöhnen.
    Dann schloss er die Augen. Für zwei Sekunden. Konzentrierte sich. Öffnete die Augen wieder. Sah das Blut, das von dem Stahldraht auf ihre weiße Bluse gelaufen war. Berührte es sogar. Es war noch flüssig, nur leicht geronnen.
    Er betrachtete das Blut auf seiner Hand und sah, wie sie zitterte. Der dicke Blutstropfen auf der Spitze seines Zeigefingers vibrierte.
    Er riss sich mühsam zusammen. Checkte kurz den Flur, dann sah er die Frau genauer an. Eine jung gebliebene Fünfundfünfzigjährige, die höchstwahrscheinlich Universitätsprofessorin war.
    Zweifellos die Mutter von Kyle Ritchie. Noch nicht lange tot. Aber wohl eine Stunde.
    Er trat wieder in den Flur hinaus. Mit erhobener Pistole, schussbereit. Sie zitterte mit der Taschenlampe um die Wette.
    Behutsam ging er nach links ins Wohnzimmer.
    Der Vater von Kyle Ritchie saß auf dem Sofa. Es sah aus, als sähe er fern. Seine Augen waren weit aufgerissen. Das Gesicht war angeschwollen. Um seinen Hals lag ein extrem festgezogener Stahldraht.
    Kowalewski ging näher heran, als wäre er bereits abgehärtet. Er berührte den Stahldraht, zog ihn ein wenig aus dem Fleisch. Löste einen Stachel aus dem Hals und dann einen weiteren.
    Es war gar kein Stahldraht, es war Stacheldraht.
    Dann stieg ihm wieder der Geruch in die Nase. Das war kein Blut, kein Leichengeruch. Irgendetwas Chemisches. Kowalewski verließ das Wohnzimmer. Er wandte sich ab von Professor Ritchies totem Blick auf den ebenso toten Fernseher. Sah kurz, wie sich das Gesicht im Bildschirm spiegelte. Ihm wurde bewusst, wie lange er von Albträumen geplagt werden würde.
    Er ging wieder in den Flur hinaus. Eine Treppe führte nach oben, eine nach unten in den Keller.
    Es war klar, wohin er musste. In den Keller.
    Er schob die Tür ganz auf und leuchtete mit der Taschenlampe die Treppenstufen ab. Er konnte nicht weit sehen, da die Treppe um die Ecke ging und in der Dunkelheit verschwand. Bereits als er die erste Stufe betrat, spürte er, wie die Temperatur sank. Es wurde unmittelbar kalt.
    Er bog um die Ecke. Der chemische Geruch wurde stärker. Er richtete die Taschenlampe und die Pistole in exakt dieselbe Richtung, auf exakt denselben Punkt. Jede Abweichung konnte verheerende Folgen haben.
    Dann war er unten. Er blieb einen Augenblick stehen und orientierte sich.
    Ein kleiner Flur mit einer Waschmaschine und einer Gefriertruhe. Drei Türen, alle geschlossen. Er ergriff die erste Klinke und drückte sie herunter. Der Heizungsraum. Hier war es unerwartet heiß. Aber er war leer.
    Er legte die Hand auf die nächste Klinke. Drückte sie herunter. Leuchtete in den Raum hinein. Alles zitterte.
    Hier war der Geruch stärker. Aber immer noch nicht zu deuten. Im Raum stand eine Tischtennisplatte. Darauf lagen alte, abgewetzte Schläger mit eingetrockneter Gummibeschichtung. Ein eingedrückter Tischtennisball. Darüber eine Staubschicht. Und auf dem Fußboden hinter der Tischtennisplatte ein Paar Füße.
    Kowalewski schlich um die Platte herum. Die Leiche lag auf

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