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Gier

Gier

Titel: Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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die Lichter von Manhattan nur noch als schwach leuchtender Schein am unteren Rand des schwarzen Himmelsgewölbes zu erkennen.
    Der Abstand zwischen den Lichtern wurde immer größer. Queens wurde zu einer Kleinstadt mit reihenweise kleinen Häusern. Sie passierten den Utopia Parkway, ohne etwas von der Universität zu erahnen, und führen dann durch Straßen, in denen es ruhig war wie in einer Geisterstadt. Allmählich wurden die Häuser wieder größer, und dann hielt das Taxi abrupt vor einem großen Haus auf einem großen Grundstück. Ziemlich einsam gelegen. Umspielt von einem gedämpften Licht. Es gab keine Mauer um das Grundstück herum. Keine Alarmanlage. Aber einen Briefkasten. Auf dem Briefkasten stand äußerst bescheiden: »Ritchie«.
    Als Kowalewski ausgestiegen war und das Taxi losfuhr, nahm es sämtliches Licht auf der Straße mit. Er stand völlig im Dunkeln. Marek Kowalewski hörte sich selbst schlucken. Im Lichtschein des Hauses sah er den Weg aus Steinplatten, der sich durch den vom Winter noch gezeichneten Rasen schlängelte.
    Kowalewski sah zum Himmel auf und atmete tief durch. Zum ersten Mal seit langer Zeit erblickte er Sterne. Für einen kurzen Moment hatte er den Eindruck, sie wollten ihm etwas mitteilen.
    Dann ließ er den Blick über die weitläufige Fassade des Hauses gleiten, die vage in der schwachen Beleuchtung zu erkennen war. Er strich mit der Hand über die niedrige Hecke, und während er durch die Gartenpforte ging, wurde ihm bewusst: Hier leben Menschen, die ihre Nachbarn nicht fürchten. Dieses Haus ist ein offenes Haus.
    Hier war der nicht besonders erfolgreiche Indiegitarrist Kyle Ritchie im Schatten zweier Professoreneltern aufgewachsen, die sich nicht der eigentümlichen amerikanischen Nachbarschaftsfurcht anschließen wollten. Keine hohen Hecken, keine einzige Überwachungskamera.
    Kowalewski warf erneut einen raschen Blick zum Sternenhimmel hinauf. Eine Wolkenbank war herangezogen und hatte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit vor die Sterne geschoben. Er befühlte flüchtig die Vorderseite seiner Jacke und spürte die ihm inzwischen vertrauten Konturen. Leise ging er über die Steinplatten hinauf zum Haus. Die Rasenfläche stieg steiler an, als er es zuvor eingeschätzt hatte.
    Aber im Grunde hatte er zuvor gar nichts näher eingeschätzt.
    Weder die Dunkelheit. Noch die Unheil verkündende Stimmung.
    Vor der Haustür gab es eine Holzveranda. Kowalewski machte einen ersten prüfenden Schritt die Verandatreppe hinauf. Er hatte den Eindruck, dass das Knarren in der erschreckend stillen Nacht von Queens weithin zu hören war. Ihm wurde sofort bewusst, dass damit jegliches Überraschungsmoment zunichtegemacht war. Falls sich wider Erwarten jemand in dem dunklen Haus befinden sollte, würde dieser Jemand längst mit gezogener Waffe bereitstehen.
    Während er die Treppe hinaufstieg, die immer lauter zu knarren schien, nahm er die neu erstandene Pistole aus dem Achselhalfter. Er hatte zwar kein Überraschungsmoment mehr auf seiner Seite, aber immerhin die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Doch gegen wen eigentlich? Warum diese Vorahnung?
    Er drehte probehalber den Türgriff herum. Es war nicht abgeschlossen. Ein offenes Haus, dachte er und lächelte schief.
    Dann trat er ein. Er nahm seine Taschenlampe aus der Jackentasche und ließ den Lichtkegel durch einen ganz gewöhnlichen Flur gleiten. Rechter Hand führte eine Treppe nach oben, während hinter einer halb geöffneten Tür direkt neben ihm eine Kellertreppe zu sehen war. Geradeaus ging es ins Wohnzimmer und links in die Küche. Alles war dunkel und still, kein Geräusch war zu vernehmen. Kowalewski machte ein paar Schritte ins Haus hinein. Wog seine neue Waffe in der Hand, fand ihren Schwerpunkt und hörte leise die Stimme von Jutta Beyer in seinem Kopf: »Du bist ein Schreibtischbulle, Marek. Mach jetzt nur nichts Unüberlegtes.«
    Es war nichts zu hören. Kein Mucks. Die Welt schien stillzustehen.
    Er ging nach links in die Küche hinein. Sie war leer. Das Geschirr war gespült, alles war aufgeräumt. Kein Geruch. Als wäre das Haus unbewohnt. Er verließ die Küche durch eine andere Tür und kam in einen lang gestreckten Korridor, von dem verschiedene Türen abgingen. Er nahm einen schwachen Geruch wahr. Der Schein der Taschenlampe tanzte in zitternden Bewegungen

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