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Gier

Gier

Titel: Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Altstimme verzweifelt.
    Jorge Chavez seufzte tief und steckte seine Pistole zurück ins Achselhalfter unter seinen blutbesudelten Anzug.
    Â»Ein Mann namens Christopher James Huntington«, antwortete er. »Aber das ist mir zu spät klar geworden.«
    Er öffnete die Tür und sog gierig die Berliner Aprilluft ein. Der Frühlingstag war ziemlich warm. Die Menschen liefen die Oranienburger Straße entlang, als wäre nichts geschehen. Und weit und breit war natürlich nicht die geringste Spur von Christopher James Huntington, besser bekannt als Ray Hammett, zu sehen.
    Als die Polizeisirenen in der Ferne ertönten, zog Jorge Chavez sich den Schnurrbart von der Oberlippe. Er blieb oben auf den Stufen zur Bank stehen und schloss die Augen. In seinem Kopf dröhnten die hypnotischen Basslinien von »The National Anthem«.

6 – Eingebungen

Die Kathedrale
Den Haag, 16. April
    Schon wieder fühlte er sich in diesem Raum wie in einer Kathedrale. Vielleicht lag es daran, dass er allein war, vielleicht auch an der frühen Morgenstunde. Vielleicht aber auch daran, dass er von etwas Übermächtigem erfasst wurde und es nicht deuten konnte.
    Paul Hjelm war allein im Versammlungsraum des Hauptquartiers von Europol in Den Haag. Als er mitten in der Nacht in seinem holländischen Appartement aufgewacht war, war der Fall gewissermaßen über ihn hereingebrochen. Er hatte noch keinerlei Distanz dazu gewonnen, keine kritische Analyse parat, keinen Handlungsplan für die Auswertung. Es gab nur dieses Gefühl, das ihn plötzlich weckte. Das ihn regelrecht aus dem Bett katapultierte. Es war in einer Art und Weise beunruhigend, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Es trieb ihn hierher. In diese Kathedrale.
    Jetzt saß er hinter seinem Schreibtisch auf dem erhöhten Podium und ließ die Musik durch den großen Saal hallen. Die Akustik war unbestreitbar großartig. Er hatte den Flügel von Esbjörn Svensson noch nie so rein klingen hören.
    Â»Premonition«.
    Vorwarnung, Vorzeichen, Vorgefühl, Vorahnung.
    Es war ein magischer Augenblick. Er schloss die Augen und hoffte, dass die Sicherheitsbeamten nicht hereinstürzen und ihn niederschießen würden. Aber wenn sie es in diesem Augenblick täten, wäre es ihm merkwürdigerweise egal.
    Er saß eine Weile da und ließ sich von der Musik erfüllen. So fühlte er sich in seinem Inneren immer reiner. Die einzigartige Macht der Musik.
    Als ein blinkendes blaues Licht durch seine Augenlider drang, dauerte es eine ganze Weile, bis er begriff, dass es von außen kam. Und als er die Augen aufschlug und einen der Bildschirme an der Wand blau aufblitzen sah, war er davon überzeugt, dass auf dem Schirm gleich Kerstin zu sehen sein würde. Seine Kerstin.
    Sie war es aber nicht. Es dauerte eine ganze Weile, bis er erstens auf die Idee kam, die Musik abzuschalten, und zweitens das Gesicht zuordnen konnte. Wie Kerstins war es ebenfalls von dunklem Haar eingerahmt. Aber im Übrigen wirkte es typisch italienisch.
    Allerdings hatte er Donatella Brunos Gesicht noch nie in einem derartigen Zustand gesehen.
    Premonition , dachte Paul Hjelm und erschauderte.
    Â»Donatella?«, fragte er vorsichtig, fast flüsternd. Seine Stimme trug nicht richtig.
    Â»Ja«, antwortete Donatella Bruno tonlos. »Rom hier. Bist du alleine?«
    Â»Es ist ja noch relativ früh«, antwortete Hjelm.
    Â»Ja«, stimmte Bruno zu. »Aber es ist gut, dass ich dich erreiche. Und nur dich.«
    Â»Es gibt wohl keinen Grund, mich länger auf die Folter zu spannen«, meinte Hjelm. »Sag es mir.«
    Donatella Bruno räusperte sich, holte unhörbar Luft und sagte dann: »Die Leichen von Fabio Tebaldi und Lavinia Potorac sind heute Morgen in einem kleinen Schloss in der Basilikata gefunden worden. Sie sind eindeutig identifiziert.«
    Hjelm schloss die Augen. Noch nie hatte er die Musik so sehr vermisst.
    Â»Wie sind sie gestorben?«, fragte er, und im selben Moment erschien ihm die Frage völlig bedeutungslos.
    Â»Sie sind in die Luft gesprengt worden«, antwortete Donatella Bruno. »Dem kriminaltechnischen Bericht zufolge wurde Potorac zuerst mittels einer kleineren Sprengladung getötet und danach Tebaldi. Das Innere des Schlosses wurde bei dem nachfolgenden Brand schwer beschädigt, da die Oberflächen im Erdgeschoss mit einem geruchsfreien, leicht entzündlichen Brennstoff getränkt waren.

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