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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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habe. Andererseits war ich persönlich erstaunt darüber, dass ein derart mächtiger Mann etwas forderte, was ihm keiner geben konnte.
    „Eben weil er etwas gefordert hat, haben wir Zeit“, entgegnete ich ihm. „Menschen, die ihre Gedanken und destruktiven Phantasien ohne zu drohen sofort umsetzen, sind gefährlich. Auf der Gefährlichkeitsskala, sofern man so etwas überhaupt annehmen kann, steht derjenige grundsätzlich ganz oben, der gar nicht droht oder etwas fordert, sondern einfach handelt. Oder haben Sie eine Zeile in der Weltpresse darüber gelesen, dass irgendjemand angedroht hat, mit Flugzeugen in Hochhäuser hineinzudonnern, im September vor ein paar Jahren? – Sie hatten erwähnt, dass er einen langen Brief geschrieben hat an diese Institution. Ich würde gern diesen Brief lesen.“
    „Natürlich können Sie diesen Brief lesen, aber er ist schrecklich. Er droht ständig mit der Veröffentlichung sämtlicher Unterlagen und Daten, die er gesammelt hat, wenn wir nicht innerhalb einer angemessenen Zeit auf seine Forderungen eingehen.“ Eigentlich wollte ich ihn fragen, was er denn forderte, aber er schien meine Frage anhand meiner Augenbrauenbewegung zu erraten und gab mir gleich darauf die Antwort. „Er fordert die Wiedereinstellung von zahlreichen Mitarbeitern, die wir entlassen haben. Er fordert die Wiederherstellung der vollsten Reputation all dieser Leute. Er fordert die Einsetzung einer eigenen Kommission, um bestimmte Dinge innerhalb unserer Organisation zu überprüfen, die aus seiner Sicht nicht richtig gelaufen sind, und er fordert ein paar andere Dinge, die einfach unmöglich sind.“ Ich vermeinte eine zornige Beherrschtheit in seiner Stimme zu vernehmen. Ich glaubte zu erkennen, dass in dieser Institution etwas passiert war, was spätestens mit dem Eintreten der Katastrophe nicht mehr verheimlicht werden konnte. Mir wurde aber auch von Minute zu Minute klarer, dass einerseits der Umstand, dass man mich gebeten hatte, hierher zu kommen, nicht bei allen Anwesenden auf vollste Zustimmung gestoßen war und dass andererseits alleine die Sitzverteilung in diesem Raum schon etwas zum Ausdruck brachte.
    Zwanghaft begann ich nun, visuell und auch emotionell den Raum und die anwesenden Personen abzutasten.
    Das etwa 50 Quadratmeter große Besprechungszimmer wurde zu mehr als der Hälfte von einem gigantischen Glastisch eingenommen, der auf einem verchromten Stahlrohrrahmen auflag. Die Wände waren in schmuckloses Weiß getaucht und ein in direktes, fast schmerzliches Licht erhellte das obere Drittel der Wände und die Decke, um von dort in symmetrischen Spiegeln wieder nach unten geworfen zu werden. In einer Ecke stand eine Holzskulptur, die, von einem eisernen Rohr durchbohrt, fast verzweifelt in die Luft ragte. Es erinnerte ein bisschen an schematische Darstellungen von Folterinstrumenten, die sich auf mittelalterlichen Burgen finden, wenn meist blasshäutige und mit monotoner Stimme ausgestattete Geschichtsstudenten ihr spärliches Salär dadurch aufbesserten, indem sie beinahe rund um die Uhr Führungen gaben und Deckenmalereien oder alte, kunstfertig hergestellte Intarsienarbeiten in der gleichen Monotonie erklärten wie spanische Stiefel, Streckbänke oder Daumenschrauben.
    Ein kleines Pult, aufgesetzt auf vier Rädern, sodass es quer durch den Raum geschoben werden konnte, strahlte in allen Farben und spielte wahrscheinlich alle technischen Stücke, um über Knopfdruck nicht nur die neuesten Nachrichten, Charts und Entwicklungen, sondern auch binnen Sekunden mit unterschiedlichen Außenstellen und Mitarbeitern weltweit Kontakte aufzunehmen. Auf der Stirnseite rechts neben dem Stuhl, auf dem der Generaldirektor saß, war eine Telefonanlage installiert, fast so groß wie ein Gebetsteppich, die wahrscheinlich mehr einzelne Knöpfe aufwies als die Stellwerkanlage von Rom-Termini.
    Der Stuhl links davon war leer, fast zu leer, als ob er etwas Unbestimmtes, Geheimnisvolles ausstrahlen würde. Irgendwie hatte ich das vage Gefühl, dass diesen Stuhl niemand anzurühren wagen würde, obwohl er nicht anders war als alle anderen. Es war aber nicht nur der Platz, an dem er stand, es waren auch die anderen Personen, die sich um ihn gruppierten, seltsam.
    Dann war es diese fast gigantische Spezialanfertigung von einer gläsernen Tischplatte, die meine ungeteilte Aufmerksamkeit für kurze Zeit auf sich lenkte. Sie stellte für mich das Symbol dar, dass in diesem Raum nichts geheim blieb. Selbst wenn ein

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