GIERIGE BESTIE
Teilnehmer, der an diesem Tische saß, versteckt nach seinem Taschentuch kramte, konnte jeder andere es beobachten. Ein vergessenes Schuhband, eine kleine Verschmutzung am Ende der Krawatte oder ein zufällig abgesprungener Hemdknopf blieb ebenso wenig verborgen wie der verzweifelte Versuch mancher Menschen, ihre Füße noch weiter unter den Stuhl hineinzudrücken, um sie dort in einer unnatürlichen Art und Weise zu verschränken, um dadurch ihrer Zwanghaftigkeit irgendwo ein Ventil zu verschaffen. Dann aber waren es die Teilnehmer, die mich mit einer gewissen Nachhaltigkeit zu interessieren begannen. Geschäftsführer, Stabsleiter, Finanzchefs, der Personalchef, Logistiker und schließlich der Generaldirektor. Es gibt wahrscheinlich keine bessere Möglichkeit, um dem Gesamteindruck zum Ausdruck zu verhelfen, indem man festhält, all diese Menschen waren perfekt.
Die Anzüge, die Schuhe, die Krawatten, die Frisur, die Stecktücher, der Schmuck, ja selbst das wenige Persönliche, wie die Haartracht, die Eheringe und die Uhren, war derart perfekt aufeinander abgestimmt, dass jeder Versuch eines Einzelnen, aus dieser Rolle auszubrechen, sofort aufgefallen wäre. Die riesige Glasplatte tat ihr Übriges dazu. Es war die Einzigartigkeit der Gleichartigkeit, die mich faszinierte und gleichzeitig zum Nachdenken anregte. Der ganze Raum, das Interieur, aber insbesondere die anwesenden Personen der Institution strahlten ein einziges Wort aus – Macht. In diesem Raum wurde sicher auch gesprochen, diskutiert und verhandelt, aber für mich stellte er das Sinnbild der zur Materie gewordenen Macht dar. Eigene Problemstellungen waren hier verpönt.
Umso weniger verwunderte mich die Reaktion der anwesenden Personen, als ich auf die Ausführungen des Generaldirektors antwortete: „Er fordert also Gerechtigkeit“, ich hielt inne und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen – betretenes Schweigen. Blickkontakte und dann, wie auf ein geheimes Zeichen, als ob alle Repräsentanten der Institution Hilfe suchend die Zustimmung ihres Generaldirektors einholen wollten, fragende, neugierige, aber auch Assistenz heischende Blicke zu ihrem Chef, der mit einem Stirnrunzeln schon tief Luft holte, als ich mich korrigierte. „Ich meinte, er fordert aus seiner Sicht Gerechtigkeit, offensichtlich für das, was er aus seiner subjektiven Betrachtungsweise für ungerecht gehalten hatte. Kann es sein, dass im Leben des Ello Dox in Verbindung mit Ihrer Institution etwas passiert ist, das sein Verhalten ausgelöst oder unter Umständen vielleicht verstärkt hatte? Wenn dem so wäre, dann wäre ich dankbar, wenn wir auch darüber sprechen könnten.“
Das anschließende Schweigen war für mich nicht nur der Ansatz einer möglichen Bestätigung meiner Annahme, sondern wurde für fast alle Anwesenden zur Qual.
„Es ist eventuell nicht alles so günstig gelaufen, wie wir es uns vielleicht alle vorgestellt hätten“, hörte ich plötzlich einen älteren Mann, der mir gegenüber am rechten Ende des Tisches saß, sehr zögerlich, aber doch sehr deutlich, sagen. Erstaunte Blicke der anderen. Als ob ihm sein eigener Satz Mut gegeben hatte, setzte er nach: „Und wenn ich es mir genau überlege, war es zu erwarten, dass es passiert ist.“
Was im Anschluss folgte, war die Darstellung eines Curriculum Vitae, das jedem Headhunter zur Freude gereicht hätte. Ello Dox war bereits auf Empfehlung eines ehemaligen ehrwürdigen Mitarbeiters als junger Bursche in die Institution eingetreten. Mit hochgradig intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet, fünf Sprachen sprechend, hatte er sich relativ rasch für die Computerabteilung zu interessieren begonnen. Mit Akribie, Genauigkeit, Fleiß und Einfühlungsvermögen war er Zug um Zug in der Lage, der Entwicklung der in einer fast galoppierenden Geschwindigkeit voranschreitenden Neuerungen im IT-Bereich zu folgen, auszuwerten und für diese Institution nutzbar zu machen. Man hatte ihm vertraut, man förderte ihn und man ließ ihn gewähren, jahrelang. Wenn es etwas gab, das ihn interessierte, waren es Computer. Wenn es etwas gab, das er in seiner Freizeit machte, dann war es, Programme zu schreiben, und wenn es jemanden gab, der für die Welt der Bits und Bytes am besten geeignet erscheint, dann war es Ello Dox.
Er war, so schien es, der richtige Mann an der richtigen Stelle. Spät, etwa mit 48, lernte er eine deutlich jüngere, sehr introvertierte Frau kennen, die in der Buchhaltung arbeitete. Man kam sich näher,
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