GIERIGE BESTIE
wollte. Man wollte die Örtlichkeit lokalisieren, wo er die Daten versteckt hatte, um ihn anschließend festzunehmen, und je mehr sich die Techniker anstrengten, seine verschlüsselten E-Mails, die er von weiß Gott welchen Internet-Cafés weltweit abschickte, geografisch einzuordnen und je öfter sie „Hurra“ riefen, weil sie der Meinung waren, sie hätten ihn jetzt geografisch eingeordnet, umso mehr musste ich erkennen, dass er schneller war als ein Wiesel. Ich erinnerte mich noch genau, als von den Spezialisten freudestrahlend verkündet wurde, man wisse jetzt, in welchem Land, in welcher Stadt, ja sogar in welchem Straßenzug er die letzte E-Mail abgesetzt hatte. Und als die ersten elektronischen Landkarten zum Beweis aus den bereitgestellten Beamern flimmerten, flatterte just in diesem Augenblick eine weitere E-Mail herein, wobei sich zeigte, dass diese E-Mail nicht in diesem Straßenzug, nicht in dieser Stadt, ja nicht einmal auf diesem Kontinent geschrieben worden war. Irgendwann imponierte er mir aufgrund seiner Geschwindigkeit, seiner Schnelligkeit und ich erinnerte mich abermals daran, dass die komplexesten Verbrechen, die ich in meiner beruflichen Karriere analysiert hatte, immer nur von einer Person begangen wurden. Je komplexer ein Verbrechen, desto intelligenter ist in der Regel der Täter. Und irgendwann nach Wochen der Suche, der internationalen Ausschreibungen, der Informationen und Desinformationen, der dutzenden E-Mails, schlug ich diesmal einen ganz anderen Weg vor. Ich wollte einfach persönlich mit ihm sprechen. Ich wollte diesmal keine Kommunikationslinien aufbauen wie in anderen Fällen. In einem Fall hatte ich so lange mit Desinformationen gespielt, welche über Medien gestreut wurden, bis der gesuchte Bombenbauer aufgrund seiner Zwanghaftigkeit in Stress geriet und sich durch eine falsche Handlung bei einer einfachen Verkehrskontrolle selbst als Täter entlarvte. Nein, diesen Weg wollte ich diesmal nicht gehen. Ich wollte keine Desinformationen und versteckten Verhandlungen. Ich wollte mich persönlich mit diesem Mann treffen. Ich wollte ihm in die Augen sehen und ihm eine einzige Frage stellen. Und das hatte ich jetzt auch vor, nur waren die Umstände plötzlich andere.
Wie in so vielen Situationen sind die Vorstellung und die Phantasie nicht mit der Realität identisch. Ein hochkomplexes Phänomen, was mir in meinen Gesprächen in den Hochsicherheitsgefängnissen von unterschiedlichsten Leuten bestätigt wurde. Seitdem ich in meiner beruflichen Karriere damit begonnen hatte, mich für komplexe psychologische Gesetzmäßigkeiten in Kapitalverbrechen zu interessieren, war ich auf der Suche nach einem Verhalten, das mir eine Person über ihre eigenen Entscheidungen eindeutig identifizierte. „Unsere Persönlichkeit dringt uns jeden Tag aus allen Poren“, meinte Sigmund Freud und so er zählen uns die einzelnen Entscheidungen, wann, wo und wie jemand sein Leben meistert, mehr über seine Persönlichkeit, als alles zusammen, was uns dieselbe Person erzählt. Mir ging es nicht darum, Personen zu verurteilen; ich wollte deren Verhalten beurteilen, um mehr über sie selbst zu erfahren und ein bestimmtes Verhalten einer ganz bestimmten Person zuordnen. Ich wollte einen Weg finden, eine Person über ein bestimmtes Verhalten am Tatort zu identifizieren. Und siehe da, unter Zuhilfenahme ganz bestimmter methodischer Einzelschritte, dem Stellen der entsprechenden Fragen und dem genauen Auswerten objektiver Informationen, war es unter bestimmten Voraussetzungen tatsächlich auch möglich, einzelne Delikte als Teil einer Serie zu erkennen, war es möglich aufzuzeigen, dass für mehrere Delikte ein und dieselbe Person verantwortlich zeichnete. Und trotzdem: Es gab nicht zwei Delikte, die gänzlich identisch waren, obwohl sehr klar analysierbare persönliche und individuelle Bedürfnisse dahinter stecken. Kleine Unterschiede, die sich als nicht so groß erwiesen, wenn man nach der Ursache des Verhaltens fragte, deren Ausprägung jedoch manchmal gänzlich unterschiedlich sein konnte. So wurde in einem Fall einem weiblichen Opfer nach Eintritt des Todes ein kleines Stofftier im Vaginalbereich eingeschoben, im anderen Fall, ein paar Kilometer weiter und ein Jahr später, eine große, mehrere Kilogramm schwere Eisenstange. Erniedrigung, Degradierung und Machtausübung, dem toten Opfer gegenüber, war wohl das Bedürfnis in beiden Fällen. Nur waren die Gegenstände unterschiedlich, was den nicht kundigen
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