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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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hochgekämmt, perfekt geschnitten und seine Haut verriet, dass sich dieser Mann gerne in freier Natur aufhielt. Die erste Assoziation, die ich persönlich hatte, war: Die Größe und das Alter eines Menschen kann man nicht in Zahlen messen. Behände, ohne dass er die Türe selbst wieder zuzog, ging er gerade auf jenen Stuhl zu, der am Kopfende des langen Glastisches noch frei war. Es erübrigt sich hinzuzufügen, dass der Stuhl vom Generaldirektor in einer raschen Bewegung sanft zurückgezogen wurde, während sich alle anderen, ohne Ausnahme, erhoben oder zumindest den Ansatz dafür vollführten.
    Sein erster Blick galt den Vertretern des Staates – den Ministern, dem Staatsanwalt – und dann mir. Ein kurzes Nicken, eine kleine, fast unmerkliche Bewegung mit seiner rechten Hand und alle nahmen wieder Platz. Als er mich anblickte, vernahm ich eine kleine Falte auf seiner Stirn, die dort nicht hingehörte. Ich gebe zu, dass mich selten in meinem Leben ein Mensch nach so kurzer Zeit so beeindruckt hat.
    Die ganze Zeit hatte ich immer noch den dicken Edding-Stift in der Hand gehalten und als ich ihn auf die Tischplatte legte, hörte ich den Generaldirektor mit einem leichten Kopfnicken murmeln: El Presidente.

vierzehn
    Genf. Ello Dox bewegte sich sehr langsam auf die Südseite der Pont de la Machine zu und ich marschierte hinter ihm drein. Plötzlich blieb er stehen und blickte mich an. Es hätte gerade noch gefehlt, dass er mir die Hand auf die Schulter gelegt und mir gleichzeitig Mut zugesprochen hätte. Ich war über sein gesamtes Auftreten, seine verbale und nonverbale Kommunikation, aber vor allem seine antizipatorischen Fähigkeiten so verblüfft, dass ich begann, das Einmaleins der Verhandlungsführung durchzugehen, um mir einen halbwegs vernünftigen Einstieg einfallen zu lassen.
    Er blickte mich also an und fragte: „Nun, warum sind Sie eigentlich gekommen?“ Es war weniger die Frage, die mich verblüffte, als vielmehr sein fast schelmisches Lächeln, das seine Mundzüge umspielte. Auch ich musste in diesem Augenblick ein wenig in mich hineinlächeln, obwohl mir wirklich nicht nach Humor zumute war. Die Antwort musste er einfach wissen. Mein Auftrag war ganz klar. Die Daten zu sichern und ihn zurückzubringen. Es wurde ein Verfahren gegen ihn eröffnet, er befand sich mehr oder minder auf der Flucht. International ausgeschrieben hätte ihn jeder Polizist festnehmen können, also glich die Verhandlung selbst nicht nur inhaltlich und emotionell einer Gratwanderung, sie war es auch aus juristischer Sicht. Es war ein ständiges Abwägen zwischen der Notwendigkeit des Auftrages und der juristischen Betrachtungsweise, nicht nur hin und her zu pendeln, sondern auch das eine auf das andere abzustimmen. Jeder Versuch, ihm ein halbwegs vernünftiges Zugeständnis zu geben, wäre aus juristischer Sicht einer „Begünstigung“, also einer strafrechtlichen Handlung gleichgekommen und der Staatsanwalt hatte nur unter der Prämisse dem freien Geleit zugestimmt, dass er auch tatsächlich selbst und freiwillig zurückkehren würde, um sich dort der Justiz zu stellen. Davon waren wir aber meilenweit entfernt. Gerade in diesem Augenblick, nach ein paar Minuten gemeinsam mit Ello Dox auf der Pont de la Machine in Genf, erschien mir der gesamte Auftrag einmal mehr als ein wahnwitziger Ritt über den Bodensee. Die beiden Dinge waren miteinander nicht kompatibel. Sicher, logistisch wäre es kein Problem gewesen, in Genf einen Jet anzumieten und ihn nach Hause zu bringen. Das würde aber nur einen Teil des Auftrages beinhalten. Die Daten blieben weiterhin dort, wo sie waren. Der Auftrag lautete aber, die Daten zu sichern und ihn nach Hause zu bringen. Warum sollte er nach Hause zurückkehren, wenn er mir die Daten geben würde? Er wusste aber auch, was auf ihn zukommen würde. Die Daten waren seine Sicherheit und meine, zu diesem Zeitpunkt, nur der Umstand, dass er mit mir sprechen wollte. Aber es galt jetzt auch nicht mein Sicherheitsbedürfnis zu erhöhen, sondern langsam ins Gespräch zu kommen.
    In diesem Augenblick fiel mir ein, dass ich noch eine Sicherheit hatte, nämlich meine eigene. Vor allem meine übertriebene arrogante Selbstsicherheit. Mir fielen in diesem Moment all jene Pläne ein, die man wochen- und monatelang geschmiedet hatte, bevor dieser erste Kontakt zustande gebracht wurde. Man wollte ihn ausfindig machen, beschatten, in der Überlegung, dass er ja seinen „persönlichen Schatz“ manchmal überprüfen

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