Gift
Stelle am Rand des geharkten Bereichs.
Mac nahm eine Wasserflasche und einen Beutel mit weißem Pulver
aus seiner Tasche und mischte in einer Schüssel etwas Gips an. Dann
goss er die zähflüssige Masse in die Vertiefung im Boden. Während er
wartete, dass sie trocknete, untersuchte er den Rechen nach
Fingerabdrücken.
»Hier sind, wie schon an den Cola-Flaschen, mehrere
Fingerabdrücke«, sagte Mac. »Komische Sache. Man möchte eigentlich
meinen, die Kerle, die das getan haben, müssten sie hinterher
abgewischt haben – vor allem wenn man bedenkt, mit welcher
Gründlichkeit sie sonst vorgegangen sind.«
»Nicht unbedingt«, sagte Bernardi. »Wenn sie richtig sauer auf
den Mann waren, ist es durchaus möglich, dass die Täter darauf nicht
geachtet haben. Andererseits stellt sich dann natürlich die Frage,
warum sie den Boden so sorgfältig geharkt haben.«
»Du glaubst nicht, dass das Opfer im Affekt getötet worden
sein könnte?«
»Das halte ich für nahezu ausgeschlossen.« Bernardi schüttelte
den Kopf. »Bei diesen Leuten muss sich über einen längeren Zeitraum
hinweg eine Mordswut auf das Opfer oder seine Firma angestaut haben.
Ich würde eher darauf tippen, dass es sich hier um einen kaltblütigen
und sorgfältig geplanten Racheakt handelt.«
Kaum hatte der Funkverkehr zwischen der
Einsatzzentrale und den Streifenwagen eingesetzt, fing ihn einer von
Samuel Hamiltons Spähern mit einem Polizeifunkscanner ab und leitete
die Meldungen telefonisch an den Reporter weiter. Dank dieses
raffinierten Frühwarnsystems hatte Samuel Hamilton schon einige
Exklusivstorys für seine Zeitung ergattern können.
Es war noch dunkel, als Samuel durch den Anruf in seinem
kleinen Apartment in der Powell Street am Rand von Chinatown im Herzen
San Franciscos geweckt wurde. Er lag auf einem Schlafsofa, das
ausgeklappt fast den ganzen Platz im Zimmer einnahm. Seine Unterwäsche
und seine Socken, die er am Abend zuvor gewaschen hatte, hingen zum
Trocknen an einer Leine, die er von Wand zu Wand gespannt hatte. In der
Luft hing der abgestandene Geruch von den Resten des fettigen
chinesischen Essens, das er sich am Vorabend hatte kommen lassen.
Samuel war sich durchaus bewusst, dass er nicht in einem Palast wohnte;
aber nachdem er sich keinerlei Hoffnungen mehr machte, dass Blanche ihn
doch einmal besuchen käme, sah er keinen Anlass, sauber zu machen. Er
fragte sich oft, wie es wohl in Blanches Wohnung aussah. Allerdings
rechnete er sich keine großen Chancen aus, sie jemals von innen zu
sehen zu bekommen.
Samuel arbeitete erst seit ein paar Monaten als Reporter für
die Zeitung. Er hatte die Stelle bekommen, nachdem er auf eigene Faust
einen Mord in Chinatown aufgedeckt und in mehreren Artikeln darüber
berichtet hatte. Davor war er für dieselbe Zeitung als
Anzeigenverkäufer tätig gewesen.
Er war klein und hatte schütteres rotes Haar, ein Relikt
seiner schottisch-deutschen Abstammung. Das Erste, was er nach dem
Aufwachen tat, war, nach einer Zigarette zu greifen, doch dann fiel ihm
ein, dass er dank eines alten Chinesen, der ihn hypnotisiert hatte,
schon vor mehreren Monaten mit dem Rauchen aufgehört hatte –
zumindest mehr oder minder. Rückfällig war Samuel nur einige wenige
Male geworden, und das immer in Situationen, wenn er am Rand der
Verzweiflung gestanden hatte. Nachdem er einigermaßen wach
war – so früh stand er normalerweise nie auf –, rief
er seinen Fotografen Marcel Fabreceaux an, der ihn stets begleitete,
wenn er für die Zeitung unterwegs war. Sie verabredeten sich in einem
chinesischen Restaurant in der Nähe von Samuels Wohnung.
Samuel duschte, rasierte sich und schlüpfte in seine gewohnten
Sachen: billiges khakifarbenes Sportsakko, graue Hose, weißes Hemd und
braune Slipper. Die Kleidung, die er als Reporter trug, unterschied
sich nur insofern von der als Anzeigenverkäufer, als sie nicht mehr
ganz so zerknittert war; außerdem hatte er, weil er nicht mehr rauchte,
keine Brandlöcher in den Ärmeln. Er hatte Marcel gebeten, sich schon
einmal vorab über die Strecke zu informieren. Sie müssten über die
Golden Gate, anschließend ein Stück durch Marin County und schließlich
über die Richmond-San Rafael Bridge fahren. Marcel hätte also unterwegs
genügend Zeit, um ihm alles, was er wusste, zu erzählen.
Als sie in Marcels grünem Ford Coupé, Baujahr 47, schließlich
in Point Molate eintrafen, war die Sonne über den Hügeln der East Bay
aufgegangen und tauchte die Szene am Tor der
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