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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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vernagelten Fensterhöhlen und einem Tennisplatz entlangführte. Nur ein rosa Schimmer unter dem dürren Gras und ein morsches Netz erinnerten noch an seine Bestimmung. Lina blieb stehen.
    »Hier haben wir Federball gespielt.«
    Gerswiller strebte weiter. Er hatte einen raschen, selbstbewussten Gang. Wie ein Junker über seine angestammten Latifundien, dachte sie – oder wie ein Einbrecher, der sich ganz zu Hause fühlte.
    »Das war einmal ein ziemlich großes Anwesen«, erklärte er. »Der alte Herr, Madames Großvater, hatte eine Brauerei; ein reformfreudiger Mann. Als er Buchfinkenschlag erbaute, sorgte er auch für anständige Unterkünfte für seine Leute. Die Küchenmädchen mussten nachts nicht vor der Kohlenkiste schlafen. Das hier war das Haus für die Diener und die Hilfsgärtner. Der Chauffeur hatte zwei Zimmer über der Remise, und der Obergärtner hatte es am besten getroffen. Jetzt gibt es hier außer mir kein Personal mehr; strenggenommen gibt es mich auch nicht. Ich wohne in der Obergärtnerhütte.«

    Im Gehen blieb Gerswiller mit dem Garten in Verbindung. Lina glaubte ihm nicht. Die Art, wie er Grasrispen durch die hohle Hand zog, Zweige streifte und Blätter berührte, hielt sie für die Darstellung einer überlegenen Naturbeziehung. Er gibt für uns den Pflanzenversteher, dachte sie und fühlte sich in Sicherheit. Unter einem Apfelbaum las er einen abgebrochenen Ast auf.
    »Sie schnitzen?«, fragte Berta.
    »Ich heize.«
    Die Obstbäume standen in Reihen wie in einer Plantage, aber nur wenige Kronen grünten noch. Die meisten Veteranen waren von Kletterpflanzen eingesponnen. Dürre Wipfel sträubten sich vor dem Himmelsblau. Hier könnte er doch wenigstens ein bisschen aufräumen, dachte Lina, die es mit der Ordnung und den Bäumen hielt. Hintereinander marschierten sie durch den alten Hain. Dann verbreiterte sich der Pfad und lief auf ein weiß verputztes Haus zu. Es war in der Tat sehr klein – nur das Erdgeschoss mit einem Schornstein an jeder Giebelwand, aber es hockte so selbstzufrieden zwischen den Büschen wie die Henne auf dem Ei.
    Durch eine Öffnung in der Hecke führte der Weg bis zur Haustür, überwölbt von einem halbrunden Drahtspalier. Um seine Stäbe wand sich ein Zopf aus grauen Ästen. Gelbe Blüten hingen wie Trauben aus dem hellen Laub. Rechts und links des Wegs neigte sich ein buntes Blumengewuschel über die Ränder und stieg in hohen, ernsten dunkelroten und blauen Stauden zur Hecke an. Hier also, dachte Lina, waltete die ganze Liebesmüh. Sonstwo mochten die Apfelbäume zusammenkrachen, das Unkraut meterhoch stehen und die Pfingstrosen verschmachten – dies war der innere Kreis, den er gegen die Wildnis verteidigte. Sein Garten.
    »Oh, wie reizend!«, rief ihre Mutter erwartungsgemäß, als sie durch die Hecke trat, und schaute sich eifrig um. »Sie haben ja auch so schöne Delphiniums – sind das Elatum-Hybriden von Foerster? – Finsteraarhorn, ja, das dachte ich mir, und Aconitum und Laburnum und gelbe Digitalis und wie gut macht sich die prachtvolle Ipomoea tricolor in der Eibe! Wie in meinem blauen Boudoir. Was haben wir hier mit den herzförmigen Blättern?«
    »Aristolochia.«
    »Oh, tatsächlich! Sehr attraktiv. Und Papaver somniferium. Sagen Sie, lieber Herr Gerswiller, darf man den …?«
    »Selbstverständlich.«
    »Und wenn sie aus dem Haus treten, weht Ihnen gleich der betörende Duft dieser herrlichen Datura um die Nase.« Sie blieb vor einem großen Keramikkübel stehen, in dem ein Busch mit großen Blättern spross, aus dessen Zweigen schmale, butterweiße Glocken hingen, deren Ränder violett überhaucht und wie ein gestärkter zipfeliger Rock aufgebogen waren. Berta bückte sich und schnupperte daran. »Ah, köstlich, ganz exquisit! Wie bringen sie die über den Winter?«
    »Ich habe noch ein kleines Gewächshaus. Dort ziehe ich auch Tomaten und Paprika und trockne die Kräuter.« Er wedelte wieder in den Park hinein. »Ich hab’ sogar Melonen.« Im Reden warf er den mitgebrachten Ast auf einen Holzstapel an der Hauswand und öffnete die Tür.
    »Tatsächlich? Erstaunlich!«, murmelte Berta und Lina glaubte, ihre Mutter bewundere noch immer Gerswillers botanische Errungenschaften. Über die Schwelle trat man direkt in die Küche, die offenbar auch als Wohnzimmer diente. Der Raum füllte fast das ganze Haus bis auf eine Tür am linken Ende, die offen stand und den Blick auf das Fußende eines Betts freigab. Im Zimmer roch es nach kaltem

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