Giftiges Grün
Holzrauch.
Wenn Lina eine Männerwirtschaft mit Campingkocher, zusammengeschusterten Möbeln, Wollmäusen in den Ecken und einem durchhängenden Sofa erwartet hatte, das seine Schande unter einer billigen bunten Decke verbarg, sah sie sich getäuscht. Johann Gerswiller lebte komfortabel mit einer perfekten kleinen Küche, einem abgetretenen aber sauber gefegten Dielenboden, vollen Bücherregalen, einem polierten Tisch am Fenster und vier Sheraton-Stühlen, die ihr vage bekannt vorkamen, einem Sekretär aus der gleichen Epoche mit zwei Kupferstichen darüber, die jagdbares Wild an der Tränke zeigten und von denen Lina seit kurzem wusste, dass sie den Gegenwert eines Heißwasserboilers und eines isolierverglasten Fensters darstellten. Sie war nicht freundlich gesinnt. Gerswiller füllte den Kessel an der Spüle.
»Kamille, Malve, Hagebutte, Minze, Vervaine – oder meine Hausmischung?«
Lina öffnete den Mund um nach den Bestandteilen der Hausmischung zu fragen, aber ihre Mutter hatte schon entschieden. »Vielen Dank, wir nehmen Minze.«
Was Lina nicht entdeckte, waren Spuren, die auf die ständige Anwesenheit einer Frau schließen ließen. Das Bett war schmal. Es gab nur einen Sessel unter der Leselampe, einen eisernen Ofen, vor dem Asche in einem offenen Blechkasten lag, einen dunkelroten Kelim, aber keine Gardinen, keine Zierlichkeiten und nicht das kleinste Blümchen, das seinen Weg aus der Gartenpracht in eine Vase gefunden hätte. Er weiß, dass er und seine Stube vorzeigbar sind, dachte sie, sonst hätte er uns nicht eingeladen. Und er wollte, dass Mama seinen Garten bewundert. Eitler Kerl.
Während Gerswiller mit der Kanne hantierte, sich nach der Teedose reckte und nach den Bechern bückte, ein Küchenhandtuch aus dem Schrank zog und das kochende Wasser über die Blätter goss, war sie in den Anblick seines langen Rückens und in eine kleine erotische Phantasie versunken. Als er sich plötzlich umdrehte, schien er die ganze Zeit vor sich hin gelächelt zu haben. Er breitete das Handtuch über den Tisch und stellte die Becher darauf.
»Muss noch ziehen«, erklärte er und setzte sich zwischen sie. Dann öffnete er die Schublade, holte eine Blechdose mit Tabak und Papier heraus und begann sich in Ruhe eine Zigarette zu drehen. Weder bot er den Frauen etwas zu rauchen an, noch fragte er, ob der Qualm sie störe. Berta, deren Strahlen im Haus deutlich abgenommen hatte, schob entrüstet ihren Stuhl zurück.
»Sie wollen wissen, warum sich Heinrich Weil nicht mehr nach Buchfinkenschlag traute?« Er leckte schnell über das Zigarettenpapier und beim Anblick seiner Zungenspitze wusste Lina, dass ihr Körper anders entschieden hatte als ihr Kopf.
»Als er hierher kam, war Madame Rose mit Monsieur Bruant verheiratet. Marion war ihre Tochter. Aber sie lebte die meiste Zeit in einem Internat in Genf, denn hier herum gab es noch nie irgendwelche Höheren Schulen. Ihr Onkel Heinrich wurde von unserem Forstverwalter im Haus eingeführt. Er sah nicht schlecht aus und war etliche Jahre jünger als Madame.« Gerswiller pflückte sich einen Tabakkrümel von der Zungenspitze und sah Lina dabei in die Augen.
»Sie können sich denken, wie es weiterging? Bruant schaute sich das Techtelmechtel zwischen seiner Frau und Weil nicht lange an. Er hatte schon immer einen sehr unangenehmen Hang zu Gewalttätigkeiten und ging eines Abends im Streit mit der Kaminschaufel auf sie los. Es geschah ohne Zeugen, und als Madame Rose die Scheidung wollte, hat sich Bruant nicht einfach abservieren lassen.« Gerswiller stand auf, kam mit der Kanne an den Tisch und schenkte redend ein.
»Bruant kaufte ein Haus hier im Dorf neben der Kirche und ließ nicht locker. Er kam immer wieder und versuchte sich mit Madame Rose zu versöhnen, aber sie wollte nur noch mit Heinrich Weil zusammen sein.«
Das hätte ich auch gewollt, dachte Lina. Sie suchte den Blick ihrer Mutter, die jedoch mit gesenkten Augen vor ihrem vollen Becher wie vor einem Orakel saß.
»Madame Rose nahm sogar seinen Namen an. Oh lala, wer von uns dann noch wagte, sie mit Bruant anzusprechen, der konnte was erleben.« Er lachte. »Vielleicht geschah es, um Bruant zu zeigen, dass er sich seine Wiedervereinigungsversuche sparen konnte, und irgendwann hat er es wohl kapiert. Im Dorf hieß es, er sei nach Genf gezogen, um in der Nähe von Marion zu sein. Im Jahr darauf kam sie aus dem Internat nach Hause.«
Er blies über den heißen Tee und schlürfte ungeniert. Lina machte
Weitere Kostenlose Bücher