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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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Seiten auf der Suche nach einer besonders schönen Illustration um. Er fand den kolorierten Holzschnitt eines gefleckten Aronstabs und den Kupferstich einer Engelstrompete. Doppelseitig aufgeschlagen bettet er die Bände auf Präsentierstützen, befestigte sie mit Messingriegeln in Form winziger Hände und rückte sie in die erste Reihe der Vitrine. Dann schrieb er mit dem Füllfederhalter die Preisschildchen – für das Kreuter-Buch 2.500,– Euro, für den Chaumeton 980,– Euro – und stellte sie gefaltet daneben.
    Dies getan, schaltete Karl seinen Computer ein und gab in der Suchmaschine die Namen Poussé und Lembach ein. Obwohl er das Internet für seine Geschwätzigkeit verachtete und schnell herausgefunden hatte, dass er, wenn er beim Zocken schon Geld verlor, dies lieber im Angesicht eines Rests von Menschlichkeit tat als nachts allein vor seinem Bildschirm in einem virtuellen Casino, überraschten ihn die Fähigkeiten des Mediums, die gerade jenem peinlichen Mitteilungsbedürfnis geschuldet waren, immer wieder aufs Neue. So war er bald auf die Website einer Sekte namens Freunde Jesu vorgedrungen, denen eine Sophie de Poussé Ende der neunziger Jahre in Lembach ein Anwesen vererbt hatte. Die Kontaktseite verzeichnete neben dem Büro der Sekte auch die Telefonnummer eines Catulle de Poussé. Das musste Sophies Ehemann sein, der Bruder von Rose mit dem Vornamen eines römischen Dichters. Hatte der Witwer diese Leute bei sich aufgenommen? Im Haus seiner Frau?
    Karl wählte die Nummer und bekam einen Freund Jesu an den Apparat, der in gebrochenem Deutsch aber sehr genau nach seinem Begehr fragte. Karl stellte sich als Neffe vor, der sich in der Familienforschung betätigte, und erfuhr, dass sich Catulle de Poussé auf seinem täglichen Spaziergang befinde, genauer, dass ihn eine Freundin Jesu in seinem Rollstuhl durch Lembach schiebe.
    Ob Monsieur sonst wohlauf sei und in der Lage, seinen Neffen zu empfangen? Karl hörte gedämpfte Stimmen, vermutlich eine kleine Konferenz, dann übernahm ein energisch Deutsch sprechender Mann den Hörer, der sich nicht vorstellte und Karl musste dasselbe noch einmal erzählen, ehe ihm eine Besuchserlaubnis erteilt wurde.
    »Du kannst morgen kommen«, sagte der Mann. Wir sehen dich danach auch gerne bei der Abendandacht.«
    »Sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Karl. »Ich bin dabei.«

    Der Bauernhof, den Sophie de Poussé den Freunden Jesu vermacht hatte, lag in der Ortsmitte von Lembach, ein Fachwerkhaus und eine Reihe Wirtschaftsgebäude, die im Karree einen gepflasterten Hof umgaben. Nichts wies auf eine gesteigerte Spiritualität hin. Auf den Fensterbänken standen Kästen mit roten Geranien und über den steinernen Torbogen zur Straße rankte sich ein Weinstock wie bei jedem anständigen Haus in dieser Gegend. Karl wies seinen Gesellschafter an, im Wagen zu bleiben. Plüschko zeichnete sich nicht durch Tapferkeit vor anderen Tieren aus und Karl war nach dem Telefongespräch vom Vortag auf einen bissigen Köter gefasst.
    »Ich besuche einen Catull«, erklärte er dem Hund. »Mal sehen, ob er auch ein Epikureer und ein Mann von Geist ist. Nur keine Bange, ich bin zurück, ehe sie anfangen zu beten.« Doch alles blieb ruhig, als er über den Hof ging, der hell in der Sonne lag. Es gab keinen Köter und überhaupt keine fremden Tiere. Die Ställe schienen leer, das Scheunentor stand offen. Neben der Eingangstür hing ein Klingelzug, der, als er ihn betätigte, tief im Haus ein Glockenspiel bimmeln ließ: Herbei, o ihr Gläubigen. An den ungläubigen Karl war die Einladung verschwendet. Er kannte das Lied nicht.
    Dass die Sekte die alte Tür mit ihren Schnitzereien und Beschlägen an ihrem Platz gelassen hatte, überraschte ihn angenehm. Auch die Freundin Jesu, die sie öffnete, war schön und gediegen anzusehen, eine kräftige Frau in Bluse und Latzhose und mit einem bunten Kopftuch, das sie wie ein Pirat und nicht wie eine Büßerin gebunden hatte. Er stellte sich vor; sie hatte ihn erwartet.
    »Ich bin Magdalen«, sagte sie. Natürlich, dachte Karl, wer denn sonst? Ob die Freundschaft mit Jesus wohl noch andere Männer neben ihm zuließ? Er folgte ihr durch das Haus, das seinen alten Bauernhofgeruch nach Stroh, saurer Milch und kalten Steinfliesen ausatmete, und schaute ihr dabei auf den Hintern. Karl glaubte, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen nicht nur im Gesicht abbildete, sondern erst nach einem zweiten Blick auf seine Kehrseite vollständig offenbarte,

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