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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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oben Gerümpel abstellen. Dafür muss man nicht extra renovieren.«
    »Das ist ja allerhand«, schnaubte die andere, »das hat man also davon, wenn man so gutmütig ist wie ich. Der Herr Weil war nämlich ein ganz lauer Mieter, der hat hier praktisch für umsonst gewohnt, das nur zur Kenntnis, Fräulein Schlaumeier!«
    »Umsonst? Ich finde dreihundert Euro nicht umsonst.«
    »Und das war noch ein Sonderpreis, ein Entgegenkommen von mir«, sagte Frau Kerz hitzig und fuchtelte mit ihrer Liste. »Wer würde denn sonst an einen wie den vermieten?«
    »Wer ist hier einer wie der?«
    »An so einen Spanner wie den. So ein Ferkel! Ja, da gucken Sie ganz schön blöd, was?! Aber ich hab’s von unten gesehen, ich weiß Bescheid. Der saubere Herr Weil, immer mit dem Fernglas am Fenster und immer auf die Mädchenschule an der Nussallee. Aber hallo! Man liest ja so einiges in der Zeitung. Da wär ich mal besser gleich zur Polizei gegangen.«
    »Das sollten Sie unbedingt tun, Frau Kerz. Und zeigen Sie sich gleich selbst an wegen übler Nachrede. Sonst erledige ich das gern für Sie.«
    »Unverschämtheit!« Aber Lina hatte ihr die Tür schon vor der Nase zugemacht. Und so will ich auch nicht werden, dachte sie, so ein alter Besen. Sie sah sich um und stellte fest, dass die Hausbesitzerin vor ihr da gewesen war und sich bedient hatte. Der Spiegel über dem Waschbecken fehlte, ebenso das Mahagonibett und der Schrank. In der Küche stand kein Stück Geschirr mehr. Saubere Arbeit, dachte Lina. Und alles in alte Zeitungen gewickelt und in bereit stehenden Kartons abtransportiert. Wenn es irgendwo noch ein Zeichen von ihm, einen Brief oder ein Kalenderblatt gegeben haben sollte, so war es jetzt im Kerz’schen Besitz oder im Müll gelandet.
    Dagegen musste sie gleich etwas unternehmen, aber sie stand weiter in der Zimmertür, ohne sich zu rühren, und starrte auf das Stragula. Rostrot, Persermuster, darunter die Kanten der Dielen. Ein saurer Geruch hatte sich in der ungelüfteten Wärme verdichtet. Sie setzte sich in den Sessel am Fenster. Ihr Schneid war aufgebraucht und sie zitterte. Sie würde es nicht fertig bringen, die Kerz zur Rede zu stellen. Von ihrem Platz aus sah Lina die Dächer der Nachbarhäuser und die Wipfel der Nussbaumallee. Die Schule sah sie nicht.
    Es ist nichts geschehen, sagte sie sich, es gibt keinen Grund, sich aufzuregen. Nicht über diese Frau, dieses widerliche Schandmaul, aber die Tränen waren nicht mehr aufzuhalten. Ihr ganzer Kopf war voll davon und sie konnte auch nicht still vor sich hinweinen, sondern schluchzte laut in die Hände und wiegte sich wie ein Klageweib vor Wut und Enttäuschung und dem unerträglichen Gedanken, dass ihr Onkel Heinrich hier gesessen und durchs Fernglas Schulmädchen ausgespäht haben könnte.
    Schließlich stand sie auf, hielt den Zipfel eines fadenscheinigen Küchenhandtuchs, das Frau Kerz des Mitnehmens nicht für wert befunden hatte, unter das kalte Wasser und wischte sich das Gesicht ab. Was von uns übrig bleibt, sind die Dinge, dachte sie. Das Silber und die Servietten würden Onkel Heinrich eine Weile überleben, nicht aber das Handtuch, mit dem er sein Geschirr abgetrocknet, und die Chaiselongue, auf der er dreißig Jahre lang geschlafen hatte.
    Ihr Handy klingelte. Es war Alex. Er hatte einen wichtigen Anruf von Herrn Gerswiller entgegengenommen. Der Herr bat um Rückmeldung. Sie tippte seine Nummer in ihren Speicher und drückte die Ruftaste. Er meldete sich sofort.
    »Ah, Sie sind es. Gut. Ich habe Madame Bruant in Straßburg erreicht. Ist schon komisch, ich dachte, sie habe Buchfinkenschlag völlig abgeschrieben, aber nun will sie unbedingt, dass Sie nach Straßburg kommen und mit ihr reden.«
    »Das freut mich. Danke, dass Sie sich gekümmert haben. Aber ich finde Madame Bruants Wunsch gar nicht so merkwürdig. Sie hat natürlich durch ihren Rechtsanwalt erfahren, dass mein Onkel gestorben ist, und vielleicht will sie nun auch ihren Nachlass regeln.«
    »So ist es«, sagte Gerswiller düster. »Ich fürchte, sie will die Hütte nun doch verkaufen.«
    »Ihre Hütte?«
    »Nein, Buchfinkenschlag. Sie will mich nämlich auch sehen.«
    »Aha.«
    »Ich dachte, wir könnten nächste Woche zusammen hinfahren. Das heißt, Sie könnten mich eigentlich abholen. Mit meiner Karre darf ich nämlich gar nicht auf die Straße. Und Buchfinkenschlag liegt ja praktisch auf Ihrem Weg nach Straßburg.«
    So leicht wollte Lina nicht über sich verfügen lassen. Sie wählte den zu

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