Giftiges Grün
Leiche doch sicher am nächsten Morgen gesehen. War Marion eines gewaltsamen Todes gestorben?«
»Solche Leute sterben immer eines gewaltsamen Todes«, erwiderte de Poussé.
»Welche Leute?«
»Leute wie diese kleine Nutte. Ich wusste Bescheid, was mit der los ist, als ich sie das erste Mal gesehen habe.«
»Was meinen Sie?«, rief Karl aufgeregt. »Wissen Sie, ob – war es der Gärtnerbursche? War es ein – ein Sexualverbrechen?«
De Poussé brach wieder in sein unfrohes Gelächter aus.
»Schon möglich, aber ich tippe da eher auf unseren alten Freund Henri. Jedenfalls wurde sie vorher noch mal ordentlich durchgefickt.«
Karl hörte, wie die Tür hinter ihm aufgeklinkt wurde.
»Ich glaube, du musst jetzt gehen«, sagte Magdalen.
»Nein, warten Sie! Herr de Poussé, was haben Sie gesehen? Was war mit Marion los?«
»Mit der war am Ende gar nichts mehr los. Zieh Leine, Mensch, lass mich in Ruhe.« Er drehte den Rollstuhl mit einem Reißen am Rad herum, wandte ihm den Rücken zu und starrte stumm in die Ecke. Karl zog Leine.
»Schwein«, murmelte er.
»Versteh das bitte«, sagte Magdalen im Flur. »Catulle ist ein ganz arger Sünder, aber er ist auch depressiv. Diese schwere Verwundung hat er aus dem Krieg mitgebracht. Die jungen Männer im Elsass wurden damals von den Nazis zwangsrekrutiert und nach Russland an die Front geschickt. Da haben sie ihm noch in den letzten Kriegstagen das halbe Bein weggeschossen. Im Lazarett hat er Morphium gekriegt, und als Arzt kam er auch danach ganz leicht an das Zeug. Er hängt immer noch dran, aber wir geben es ihm nur in kleinen Dosen und wenn es ihm ganz arg schlecht geht. Irgendwann haben sie ihm die Approbation entzogen, weil er das Rauschgift auch weitergegeben hat, ich glaube sogar an Jugendliche. Aber das war lange bevor Catulle ins Elsass zurückkam. Damals praktizierte er irgendwo drüben in Deutschland. Unsere Freundin Sophie hatte Krebs und wusste ziemlich früh, wie es um sie stand. Sie hat uns diesen Hof vermacht, unter der Bedingung, dass wir uns um ihn kümmern.« Sie seufzte. »Wir sind Freunde Jesu, aber Catulle ist unser aller Prüfung.«
In der offenen Haustür gaben sie sich die Hand und schauten sich lächelnd in die Augen. Neben ihrem Ohr kringelte sich eine blonde Strähne unter dem Kopftuch hervor.
»Die anderen würden dich auch gern kennenlernen. Du bist herzlich zur Andacht eingeladen.« Karl hätte gern einen weiteren Blick auf Magdalens Hintern geworfen, fürchtete aber, anschließend zu einer Spende herangezogen zu werden.
»Das ist ein arg verlockendes Angebot«, hörte er sich sagen, »aber ich glaube, ich gehe jetzt besser.«
Nach drei Tagen hatte Johann Gerswiller noch immer nicht zurückgerufen. Lina versuchte es bei der Auskunft, aber dort kannte man ihn nicht. Offenbar hatte er nur ein Mobiltelefon. Sie instruierte Alex über wichtige und weniger wichtige Anrufe und fuhr noch einmal in Onkel Heinrichs Wohnung. Ihr waren die Kartons voll alter Zeitungen eingefallen. Wer solchen Kram hortete, musste doch auch Briefe oder Photos oder Taschenkalender aufgehoben haben. Sie würde alles umschichten und durchblättern, bevor in der nächsten Woche die Entrümpler kamen.
Sie ging leise die Treppe zur Mansarde hoch, aber als sie den Schlüssel ins Schloss steckte, wurde die Tür im Stockwerk unter ihr aufgerissen.
»Ich komme!«, rief die Hausbesitzerin und kurz darauf erschien zuerst der Kopf und dann stufenweise der Rest von Frau Kerz auf der Stiege.
Wenn ich mal alt bin, dachte Lina, lass ich mir die Haare wachsen. Und ich werde keine ärmellosen Blusen tragen. Und keine Leggins. Und auf keinen Fall Fußbettsandalen. Und zur Pediküre müsste ich eigentlich auch mal wieder. Dann hatte sich Frau Kerz vollständig vor ihr aufgebaut. Lina stellte sich in die Tür wie Onkel Heinrich, bereit, das Revier gegen sie zu verteidigen.
»Ich habe Sie erwartet«, sagte Frau Kerz. Ihr Ton verriet, dass sie keine Einwände gelten lassen würde. »Wir müssen noch über die Renovierungskosten sprechen.« Sie faltete eine handgeschriebene Liste auf. »Die Wohnung ist ja ein wahrer Saustall.«
»Da gebe ich Ihnen Recht, Frau Kerz«, erwiderte Lina. »Die Wohnung ist menschenunwürdig, das sollten Sie als Hausbesitzerin wirklich am besten wissen. Es zieht überall rein. Die Fenster sind eine Katastrophe, es gibt kein Bad, keine Heizung und nur kaltes Wasser. Wollen Sie mir weismachen, dass Sie dieses Loch noch einmal vermieten? Sie können hier
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