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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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beiden waren nicht sehr eng, obwohl er in der Nähe wohnte. Ich meine, der wäre später irgendwo im Elsass, in Lembach, wieder aufgetaucht. Der war auch auf dem Fest, und er hatte nur ein Bein. Deshalb ist er mir auch hier oben durchgewitscht«, – sie kreiselte mit dem Zeigefinger an der Schläfe. »Weißt du, ich habe früher doch so gern getanzt, mit diesem Herrn Stutz, und dieser Bruder eben nicht; ich meine, er hat überhaupt nicht getanzt.«
    »Ein Bruder von Rose, ein Arzt in Lembach«, sagte Karl begeistert, »mit nur einem Bein. Weißt du auch noch, wie Rose mit Mädchennamen hieß?«
    »Oh, das ist einfach. Sie war eine geborene de Poussé, wie Pussel aber nur mit e.«
    »Also, auf nach Lembach zu Monsieur de Poussé!«, rief Karl, »ich hoffe nur, er war bisher standorttreu.« Tante Tilly lächelte erleichtert.
    »Nun, lieber Karl, ich habe mich gefreut, dass du nach so langer Zeit einmal da warst, aber jetzt muss ich mich ein bisschen ausruhen. Ich bin ganz heiser und durcheinander vom vielen Reden. Stellst du bitte noch die Tassen in die Spüle. Ich werde später abwaschen.«
    Er sprang auf und stapelte das Geschirr ineinander. Der Hund war schon voraus gegangen und hielt die Schnauze an die Tür, wo sie sich öffnen würde. Wenn Karl an diesem Nachmittag Marion einmal mit vollem Namen erwähnt hätte, wären er und Tante Tilly etwas klüger voneinander geschieden, aber der Neffe war zum Kriminalen so geeignet wie Plüschko zum Buchhändler. Er betrieb die Fahndung nach Marions Mörder in der Art eines Gewinnspiels, bei dem es mehr auf Eingebung als auf Methode ankam. An diesem Nachmittag war jedoch nicht nur der Tante oben etwas durchgewitscht; Karl hatte den Namen Bruant, der seine Augenzeugin auf die richtige Spur gesetzt hätte, ganz vergessen und Tante Tilly, deren Wunsch, ihm einen Gefallen zu tun, stärker war als ihr Gedächtnis, freute sich, dass ihr gerade noch rechtzeitig etwas Wichtiges eingefallen und der Neffe mit seinem Kuchenpaket nicht umsonst gekommen war.
    »Der gedeckte Apfel war gut«, sagte sie. »Wenn auch nicht ganz so fein, wie meiner früher. Weißt du, der Boden muss ganz dünn sei und auf die Äpfel gehört ein Spritzer Essig.« Er beugte sich zu ihr hinunter, legte seine Wange an ihre und fragte:
    »Kann ich dir mit irgendeiner Lektüre eine Freude machen?«
    »Reisebücher«, sagte Tante Tilly.
    »Ich glaube, da habe ich was für dich. Ich schicke dir ein Päckchen.«

Am Montagmorgen stieg er, gefolgt von Plüschko, die drei Stufen zum Antiquariat Weil & Co. hinauf. Sein Vormieter war ein Verlag, der Globen und wandflächendeckende Landkarten für Schulen hergestellt hatte, entsprechend großrahmig war das Ambiente mit hohen Fenstern und gusseisernen Säulen, die eine Stuckdecke trugen. Nach der Pleite des Verlags hatte der Hausbesitzer keinen passenden Nachmieter gefunden und die Räume geteilt. Neben dem Antiquariat Weil & Co. war eine Eisdiele eingezogen, deren Besitzer einen erstklassigen Espresso braute. Karl war dort Stammgast.
    Er hatte die Bücher aus Onkel Heinrichs Buffet noch nicht sortiert und ging als Erstes die Stapel durch. Der größte Teil würde ins moderne Antiquariat und in die Kisten vor dem Schaufenster wandern. Für Tante Tilly suchte er Bände über Venedig, die Alpen, Paris und ein paar Anthologien aus, legte aus eigenen Beständen Darwins Fahrt mit der Beagle, Flemings Tataren-Nachrichten und eine schön illustrierte Dünndruckausgabe von Gullivers Reisen obendrauf und packte sie in einen Karton.
    Dann zog er seine weißen Baumwollhandschuhe an, um die Kupferstiche, Lonicerus’ Kreuter-Buch und Chaumetons Flore médicale zu begutachten. Die wertvollen Originalkupfer aus dem Hortus Eystettensis wollte er rahmen lassen. Entgegen seiner ersten Regung musste er sich nicht lange dazu überreden, seiner Mutter keinen davon zu schenken. War sie mit ihrem Schwager Heinrich hinreichend vertraut gewesen, um ein Erinnerungsstück zu verdienen? Wüsste sie die Rarität zu schätzen? Hatte sie überhaupt Platz an ihren Wänden, die voll mit den eigenen Werken hingen? Dreimal nein. Obwohl auch Karl mit seinem Onkel nicht hinreichend vertraut gewesen war, fühlte er, dass er die Blumen des Hortus Eystettensis vollkommen verdient hatte.
    Aus den Botanikbüchern entfernte er die vergilbten Blätter eines alten Abrisskalenders, deren Ränder mit unleserlicher Krakelschrift bedeckt waren und offenbar als Lesezeichen gedient hatten, und wendete vorsichtig die

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