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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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und er hatte sich selten in einem verzagten oder verkniffenen, einem feigen, stolzen oder prahlerischen Hintern getäuscht. Magdalens Paar Backen nannte er im Stillen wohlgemut. Er nahm ihr Rollen und Hüpfen als ein gutes Omen für seinen Besuch.
    »Catulle kann sich nicht an dich erinnern«, sagte sie über die Schulter. »In welchem Verhältnis stehst du zu ihm?« Ihr Deutsch hatte einen alemannischen Zungenschlag.
    »Seine Schwester ist eine Tante von mir, eine angeheiratete.«
    »Ah, Catulle hat eine Schwester? Davon hat er nie gesprochen.« Sie wandte sich brüsk zu ihm um. »Du bist doch nicht etwa ein Zeitungsreporter?!«
    »Ich? Gott bewahre! Ich bin Buchhändler.«
    »Führe den Namen Gottes nicht leichtfertig im Mund«, ermahnte sie ihn freundlich. »Ich bin noch ein Weilchen im Zimmer, wenn du mit ihm sprichst. Wir wollen doch beide keine Missverständnisse. Bleib nicht zu lange. Du musst laut sprechen und darfst ihn nicht aufregen. Unser Freund Catulle ist manchmal arg zornmütig.«
    »Verstehe. Ist er euer Hausherr oder euer Untermieter oder euer Gast?«
    »Er ist ein Mitglied unserer Gemeinschaft.« Damit öffnete sie die Tür zu einem Zimmer, aus dem ihm ein Geruch wie aus stockfleckigen Büchern entgegenwehte. Die Wände waren bis zur halben Höhe getäfelt, die Decke hing tief. Eine viel zu große, dunkle Anrichte, ein Tisch und sechs Stühle mit gerader Lehne standen im Zimmer. Die Tischdecke sah aus, als hätte sie jemand vor zehn Jahren gerade gezupft und sei dann gestorben. Trotz der Sonne, die durch die Scheiben fiel, war es kalt. Nach der Erscheinung Magdalens hatte sich Karl die gute Stube der Freunde Jesu etwas einladender vorgestellt.
    Am Fenster saß ein alter Mann im Rollstuhl und blickte ihm misstrauisch entgegen. Er musste früher sehr groß gewesen sein, inzwischen war alles an ihm nur noch lang; das Kinn, die Nase, die Ohren und der linke Fuß, der in einem schwarz und braun karierten Hausschuh steckte, der mit einer Schnalle geschlossen war. So was gibt’s noch, dachte Karl.
    »Hier kommt dein Besuch, Freund Catulle«, sagte Magdalen laut, »dein Neffe Karl.«
    »Ich kenne keinen Neffen Karl«, sagte der alte Mann, »verschwinden Sie!«
    »Darf ich mich setzen?«, fragte Karl, »dann kann ich das besser erklären.« Magdalen zog einen Stuhl heran und blieb hinter ihm stehen, als er Platz genommen hatte.
    »Sprechen Sie kein Französisch?«
    »Je suis désolé«, lächelte Karl. Es zog nicht. Der andere schwieg und starrte ihn feindselig an. So viel zum Epikureer, dachte Karl. »Ich bin ein Neffe von Heinrich Weil, Herr de Poussé, dem Mann Ihrer Schwester Rose. Die beiden haben zusammen in der Villa Buchfinkenschlag gelebt.«
    »Scheiß auf Buchfinkenschlag«, sagte de Poussé.
    »Freund Catulle!«, kam die mahnende Stimme aus dem Hintergrund.
    »Was ist damit?«
    Karl setzte zu seiner langatmigen Erzählung an, von der er nicht wusste, ob sie verstanden würde. Onkel Heinrichs Testament, das Sonnenwendfest, Marions Tod im Schwimmbecken, der Gärtnerbursche, der ihre Leiche gefunden hatte.
    »Sie waren doch auch auf dem Fest. Können Sie sich daran erinnern?«
    »Geh raus, Magdalen«, sagte de Poussé. Karl hörte, wie sich die Tür hinter ihm öffnete und schloss. Der alte Mann sah ihm scharf ins Gesicht. Dann sprach er so laut, dass Karl nicht bezweifelte, dass auch Magdalen etwas davon haben sollte.
    »Nach dreißig Jahren kommen Sie hierher und belämmern mich mit diesem Fest. Ob ich mich erinnere? An wen oder was? An die Musik oder an die Lampions oder an die kleine Nutte, hinter der Henri Weil her war?«
    »Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht etwas beobachtet hätten, das helfen könnte, die Schuldfrage zu klären.«
    »Das hat mich die Polente damals auch gefragt, und jetzt soll ich es ausgerechnet Ihnen erzählen?«
    »Warum nicht?«
    Der alte Mann sperrte den Mund auf, und aus seiner Brust kam ein bellendes Geräusch, das sein Gegenüber richtig als ein Lachen deutete.
    »Du machst mir Spaß, Neffe Karl! Nein, ich kann dir nichts zu deiner Schuldfrage erklären, weil ich nichts beobachtet habe. Ich bin nämlich nicht mit den andern im Park herumgerannt.« Er schlug sich auf seinen Beinstumpf. »Kleines Andenken an die Ostfront«, sagte er. »War mir eine Ehre, dein Volksgenosse zu sein. Aber die arme Sophie hatte danach nur noch einen halben Kerl im Bett.« Karl blieb beim Sie.
    »Aber als Arzt können Sie mir vielleicht etwas über die Todesursache sagen. Sie haben die

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