Giftkuss
bekam sofort ein schlechtes Gewissen, sie hatte die Uhrzeit völlig vergessen.
»Hallo, hier ist Cleo Fürbringer, die Freundin von Anja Diekamp und…«
Sie stockte. Sie hätte den Anruf natürlich besser vorbereiten müssen. Jetzt war sie womöglich diejenige, die ihr den Tod von Anja beibringen musste.
»Oh, hallo Cleo.«
»Ich… ich… also Anja, meine Freundin… die ist… Hast du schon gehört?«
»Was?«
Oh nein!
»Könnten wir uns vielleicht treffen? In einem Café oder so?«
»Treffen? Wir beide?«
Cleo konnte verstehen, dass Katharina das merkwürdig fand, wusste aber keinen Ausweg und sagte deshalb einfach: »Ja. Am besten so schnell wie möglich.«
»Okay«, sagte Katharina zögerlich.
»Gut, dann um 9 Uhr in der Eisdiele am Marktplatz?«
»Ich kann frühestens um…«, Katharina schien kurz zu überlegen, »… um 12 Uhr.«
»Das geht auch«, entgegnete Cleo, fand dann aber den Ort zu auffällig. Auf dem Marktplatz wimmelte es nur so von Bekannten. Alle würden sie auf Anja ansprechen. Dazu hatte sie absolut keinen Nerv.
»Besser im Café gegenüber vom Burger King. Weißt du, welches ich meine?«
»Ja.«
»Bis dann.«
Cleo legte auf. Sie hatte keine Ahnung, ob das eine gute Idee war, aber es war ein Anfang.
In der Küche merkte sie, dass sie überhaupt keinen Appetit hatte. Obwohl Mama ihr alle nur erdenklichen Köstlichkeiten in den Kühlschrank gestellt und mit kleinen Anweisungszettelchen versehen hatte, frühstückte sie lediglich einen großen Schluck Milch.
10. Kapitel
»Es ist aber überhaupt kein Glatteis draußen. Schau selber, überall Grau, kein Weiß.« Sie nickte mit ihrem Kopf in Richtung Fenster.
»Ja, Frau Wittich, das weiß ich auch, ich bin heute leider etwas zu spät gekommen, einfach so.«
Jeden Tag ging sie geduldig auf Frau Wittich ein, sprach mit ihr, wusch sie, doch heute musste sie sich im Zaum halten, sie nicht anzuschreien. Ihre Nacht war katastrophal gewesen, ihr Kopf voller Bilder, die durcheinanderwirbelten und sie nicht zur Ruhe kommen ließen.
»Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut! Wir rechnen doch mit dir.«
»Jetzt bin ich ja da«, sagte Katharina härter als gewöhnlich. »Sie wissen, dass ich sonntags keinen Putzdienst habe, da komme ich extra für Sie.«
Katharina schob Frau Wittich von ihrem Bett zum Waschbecken. Aber die machte sich mit einem Ruck los.
»Du bist eine Heilige, da redet man nicht so… so grob! Außerdem habe ich mich schon gewaschen, ich wasche mich um 7:05 Uhr, jeden Morgen, auch sonntags. Fast hätte ich dich angerufen.«
Katharina erschrak. Das Handy in Frau Wittichs Schublade war ihre direkte Verbindung zur Zimmernachbarin ihrer Mutter. So oft hatte sie schon überlegt, ob sie es ihr wieder wegnehmen sollte, sich dann aber doch dagegen entschieden. Frau Wittich war fürsorglich und würde sie auf jeden Fall anrufen, wenn es mit ihrer Mutter Probleme gab.
»Ich habe Ihnen das Handy nur für Notfälle gegeben.«
»Und wo fängt ein Notfall an, hä?« Sie hob streitlustig den Kopf und blickte Katharina in die Augen.
Ich muss sie irgendwie loswerden, sonst springe ich ihr an die Gurgel!
Katharina konnte ebenso wenig Abweichungen von der Routine ertragen wie Frau Wittich, trotzdem hatte sie heute kein Verständnis. Sie wollte einfach nur allein sein mit ihrer Mutter.
»Haben denn alle Patienten schon ihre Medikamente? Ich habe gehört, Herr Welters aus der 14 hat Magenprobleme.«
»Oh«, sagte Frau Wittich. »Da schau ich gleich mal nach.« Mit diesen Worten verließ sie eilig das Zimmer.
Das war einfach gewesen. Katharina wandte sich sofort ihrer Mutter zu, die wie immer mit dem Gesicht zur Wand in ihrem Bett lag. Sie setzte sich zu ihr.
»Hallo, Mama. Hast du heute gut geschlafen? Ich wasche dich später, jetzt muss ich dir erst was erzählen, wer weiß, wie lange uns die Wittich alleine lässt.«
Ihre Mutter riss schwungvoll den linken Arm nach hinten, sodass die Hand gegen Katharinas Knie knallte.
»’tschuldigung«, sagte Katharina an ihrer statt. »Ich rutsche ein bisschen.« Dann fuhr sie fort: »Ich habe dir gestern ganz vergessen zu erzählen, dass ich ein Foto gesehen habe. Von uns. Du warst drauf, ich, Papa und… Laura auch.«
Sie erschrak. Hatte sie Lauras Namen überhaupt jemals in Gegenwart ihrer Mutter erwähnt? Aber sie konnte ihren Redefluss nicht bremsen.
»An ihrem zweiten Geburtstag waren wir im Zoo, weißt du noch? Da war dieser nette Herr, so ein blonder… Verrückt, ich weiß es
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