Giftkuss
ist mein Vater. Weißt du, er hat uns verlassen, da war ich zehn Jahre alt. Ich…«
Ihr Herz klopfte so stark, dass sie es im ganzen Körper fühlen konnte. Sie hasste dieses Thema, diese verdammte Geschichte ihres Lebens! Und doch zwang sie sich weiterzureden: »Ich hatte eine Schwester, du hast sie auf dem Foto gesehen, sie hieß Laura und sie ist… Sie hatte eine Krankheit, kriegte immer Krämpfe und… und daran ist sie gestorben.«
Katharinas Kehle war trocken. Sie schluckte zweimal kräftig und fuhr dann fort: »Ich war auf Klassenfahrt und meine Mutter hat sich nicht um sie gekümmert. Sie konnte das nicht, weißt du. Sie war krank vor Kummer. Es war ihr alles zu viel, die Trennung, ich, Laura und dann noch Lauras Krankheit.«
Bilder von ihrer Mutter vor dem Fernseher und der zugemüllten Wohnung kamen ihr in den Sinn. »Ich möchte nicht, dass du was Falsches denkst, meine Mutter ist gut, du hättest sie gemocht, bestimmt.«
Sie machte eine Pause, als wollte sie den letzten Satz nachklingen lassen, doch es gab keinen Nachklang, nur das Summen der Kühlung.
»Als dann Laura gestorben war, hörte Mama auf zu reden. Ich war siebzehn. Ich wollte Abitur machen, aber das hat alles nicht hingehauen. Ich bin dann…«
Gerne hätte sie jetzt etwas frische Luft geatmet, doch im Kühlraum gab es kein Fenster. Trotz der Kälte bildeten sich Schweißperlen auf ihrer Stirn, die sie mit ihrem Handrücken wegwischte. Sie richtete sich auf.
»Ich bin dann… Weißt du, mein Vater, der hat…«
Sie konnte nicht weitersprechen. Wut schnürte ihr die Kehle zu. Irgendwann würde sie daran noch ersticken! Sie stand auf, lief vom einen Ende des kleinen Kühlraums zum anderen und versuchte, mit tiefen, regelmäßigen Atemzügen ihre Wut in den Griff zu bekommen.
»Genug! Ist jetzt gut«, sprach sie sich selbst Mut zu. »Es ist passiert, so einfach ist das!«
Doch es funktionierte nicht. Die Wut nahm so viel Raum ein, dass Katharina Platzangst bekam, sie musste raus hier aus dieser Enge. An Anjas Seite blieb sie stehen und sah auf sie hinunter.
»Er hat uns alle fallen lassen wie faules Obst. Glaub mir, du bist nicht umsonst gestorben, Anja. Er hat jetzt zwei Unschuldige auf dem Gewissen. Dafür wird er büßen, das verspreche ich dir.« Mit diesen Worten schloss sie den Reißverschluss und schob Anja zurück in ihre kühle Höhle.
Und jetzt werde ich das Institut putzen wie noch nie.
Sie ging zum Putzraum, um den Nassschrubber zu holen.
9. Kapitel
Mit brutaler Gewalt riss er an ihrem Arm, zerrte ihn in alle Richtungen, bis das Schultergelenk knackte. Es war ein widerliches Geräusch. Wimmernd kniete sie vor ihm. Trotz der höllischen Schmerzen wollte sie unbedingt sein Gesicht sehen. Er trug keine Maske und trotzdem erkannte sie ihn nicht. Sie waren zu zweit in einem riesigen Raum, einer leer stehenden Lagerhalle. Die Haare hingen ihr ins Gesicht und Schweißtropfen liefen ihr in die Augen. Wie war sie nur hierhingeraten?
Jetzt hielt er mit der linken Hand ihren Arm fest, beugte sich nach rechts und hatte plötzlich eine Axt in der Hand. Seine Stimme, dachte sie panisch, vielleicht kann ich ihn an seiner Stimme erkennen. Sie wollte ihn etwas fragen, brachte aber keinen Ton heraus, nicht einmal Luft. Da merkte sie, dass sie zwar ein-, aber nicht mehr ausatmen konnte. Sie würde platzen! In diesem Moment holte er aus und die Axt landete mit voller Wucht auf ihrem Unterarm. Komisch, sie spürte überhaupt keinen Schmerz, dabei floss das Blut aus der Wunde wie Wasser aus einem Wasserhahn.
Peng! Es krachte und diesmal durchzuckte ein heftiger Schmerz ihre rechte Hand - obwohl die doch eigentlich schon gar nicht mehr zu ihrem Körper gehörte. Was… was…?
Cleo schreckte hoch und blickte sich mit weit aufgerissenen Augen in ihrem Zimmer um. Nach einigen Sekunden ließ sie sich wieder zurück ins Kissen fallen. Was für ein Traum! Ihre Hand tat weh. Sie musste sie irgendwo angestoßen haben.
Es war der Kommissar gewesen, der ihr im Traum den Arm abgehackt hatte, jetzt fiel es ihr ein. Der Kerl hatte die gleiche Jeansjacke getragen wie er. Mit einem entschlossenen Ruck warf sie die Bettdecke auf den Boden und drehte sich zum Fenster. Sie war schweißgebadet und hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Am rötlichen Licht, das an der gegenüberliegenden Häuserwand schimmerte, erkannte sie, dass es noch sehr früh am Morgen war, höchstens 7 Uhr. Um 5 Uhr hatte sie das letzte Mal geschaut, wie spät es war. Sie
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