Giftkuss
Wolff?«
»Genau.«
»Was hat er gesagt? Hat er die Facebook-Nachricht gelesen? Ich hab mal reingeschaut, aber reagiert hat er nicht.«
»Hat er.«
»Hast du uns etwa verraten?«
Cleo nickte.
Katharina fühlte sich, als würden sich an einem steilen Hang plötzlich die Bremsen lösen. Sie raste hinab in die Tiefe, immer schneller und schneller.
»ALLES? Hast du auch mich erwähnt?«, fragte sie und versuchte mit aller Kraft, möglichst gelassen zu klingen.
»Nein, natürlich nicht. Du hast doch gesagt, dass du mit der Polizei nichts zu tun haben willst.«
Cleo legte ihre rechte Hand auf Katharinas Unterarm. Und erst in diesem Moment merkte Katharina, wie angestrengt sie ihr Colaglas umklammert hielt. Sie lockerte den Griff und die Bremsen zogen wieder an. Noch hatte sie die Talsohle lange nicht erreicht.
Cleo hatte für sie gelogen! Ein wohliger Schauer durchlief sie.
»Was hast du ihm erzählt?«
»Dass ich alleine ins Haus gekrochen bin, durch das Kellerfenster. Dabei pass ich da gar nicht mehr durch. Ich hoffe, er überprüft das nicht.«
»Ich bin dir so dankbar, das kann ich dir gar nicht sagen.«
»Ehrlich gesagt war ich dir dankbar, weil du mich begleitet hast.« Cleo lächelte und Katharinas Herz hüpfte. »Wieso sollte ich dann nicht ein bisschen für dich lügen?«
Aus lauter Verlegenheit versuchte Katharina, aus ihrem längst leeren Glas zu trinken.
»Und ich habe noch was ganz Merkwürdiges erfahren.« Cleo sprach nicht weiter. Sie strich mit der rechten Hand immer wieder über ihren linken Oberarm, als würde sie frieren. Katharina hing gebannt an ihren Lippen.
»Stell dir vor: Anja hatte eine Schwester, eine Stiefschwester.«
»Wer sagt das?«, fiel Katharina ihr ins Wort und ärgerte sich sofort über ihren unbeherrschten Ton. Auffälliger konnte man sich nicht verhalten. Aber Cleo schien nichts bemerkt zu haben. Sie bekam ihren Eiskaffee, trank den ersten Schluck und nahm einen Löffel Sprühsahne.
»Und? Gut?«, fragte Katharina in der Hoffnung, die Stiefschwestergeschichte unter den Tisch kehren zu können.
»Na ja«, antwortete Cleo. »Da ist gar kein Eis drin, nur Eiswürfel.«
»Ist wahrscheinlich besser so, glaub mir. Hast du den Eiskaffee in der neuen Einkaufspassage schon getrunken?«
»Ja. Also, pass auf. Die haben Anjas Stiefvater gestern Abend tatsächlich noch verhört. Wolff hat unsere Nachricht gelesen, dann haben sie ihn in Untersuchungshaft gebracht, Spuren gesichert und ihn befragt.«
»Und?«
»Wie gesagt: Er hat eine Tochter. Eigentlich zwei, aber die jüngere ist mit drei Jahren gestorben…«
Cleo redete weiter, aber Katharina verstand sie nicht mehr – in ihren Ohren rauschte es viel zu laut. Er hatte es also erzählt! Niemals hätte sie damit gerechnet. Nun ging es doch noch mit ihr bergab.
»Katharina? Alles klar bei dir?«
»Jaja, ich geh nur mal aufs Klo.«
Und weg war sie.
Drinnen stützte Katharina sich aufs Fensterbrett und rang nach Luft.
Er hat von uns erzählt. Wie soll ich das in den Griff kriegen? Ruhig bleiben, ganz ruhig, noch gibt es keine Spur, noch ist nichts verloren.
Sie war schweißgebadet. Mit kaltem Wasser wusch sie sich das Gesicht.
Okay, jetzt nicht durchdrehen. Ich muss nur einen freien Kopf kriegen, klar denken.
In dem Moment kam Cleo rein.
»Hey, Kathy, was ist denn mit dir los?«
»Ach, nichts«, sagte Katharina und lehnte sich mit dem Rücken gegen die kalte Kachelwand neben dem Waschbecken.
»Was ist das denn?«, rief Cleo plötzlich entsetzt und nahm Katharinas Hände in ihre.
»Das ist nichts«, sagte Katharina. »Ich hab mich heute verbrüht, als ich Mama einen Tee gekocht habe.« Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Wenn sie die Pflaster nicht verwendet hätte, hätte die Lüge nicht funktioniert. Die Löcher ähnelten nicht im Entferntesten einer Verbrennung.
»Oh, du Arme. Und auch noch an der Stelle, wo du dich gestern am Nagel verletzt hast.«
»Du kannst ruhig wieder rausgehen. An so heißen Tagen hab ich manchmal Schwächeanfälle, ist nichts Schlimmes, ich komme gleich.«
»Ne, ich bleib bei dir, ich kann dich doch hier nicht alleine lassen.«
Cleo strich mit der Hand über Katharinas Oberarm.
»Hast du zufällig deine Tage? Da hab ich auch manchmal so komische Zustände.«
Katharina hasste ihre Periode und konnte sich absolut nicht vorstellen, jemals über dieses Thema zu sprechen, nicht einmal mit Cleo.
»Ich weiß nicht… Ne, eigentlich hat das damit nichts zu tun. Komm, lass uns rausgehen. Es ist
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