Giftkuss
verheimlicht?«
Wolff antwortete nicht. Stattdessen blätterte er in dem Stapel Papier. »Wo ist es denn?«, murmelte er vor sich hin. »Das muss doch hier sein.« Er las und blätterte und las. »Ah, da ist es.« Er hielt eines der Papiere hoch. »Sagt Ihnen der Name Meinhard etwas?«
»Meinhard…« Cleo dachte nach. »Wer soll das sein?«
»So hieß die langjährige Lebensgefährtin von Herrn Diekamp. Seine Tochter ist jetzt 22 Jahre alt.« Er blickte wieder auf das Papier. »Sabrina heißt sie. Sabrina Meinhard.«
»Nein, nie gehört.«
»Schade. Das Mädchen ist nicht auffindbar. Ihre Mutter haben wir bereits gefunden. Aber Sabrina ist wie vom Erdboden verschluckt.«
Cleo griff nach dem Wasserglas. Es war leer.
»Warten Sie, ich hol noch welches. Bei der Hitze muss man viel trinken.« Wolff legte die Papiere wieder sauber aufeinander und verließ den Raum.
Cleo starrte auf den Stapel. Die Blätter zogen sie magisch an. Es war bestimmt das Verhör mit Herrn Diekamp. Wie gerne würde sie das lesen! Sie zögerte. Noch so einen Schock wie mit dem Foto wollte sie nicht riskieren. Doch auf der anderen Seite wuchs ihre Neugier. Sie beugte sich über den Schreibtisch, nahm das Protokoll und fing mittendrin zu lesen an.
GD: Ich habe die Mutter meiner Kinder vor ungefähr zwölf Jahren verlassen, da waren meine Töchter zehn und drei Jahre alt. Dieses Familienleben, es war nicht auszuhalten, glauben Sie mir! Sie war ein Messie, hat nichts auf die Reihe gekriegt, ist immer fetter geworden, ich schwöre Ihnen, es war unerträglich. Dann habe ich meine jetzige Frau kennengelernt, sie ist das genaue Gegenteil: strukturiert, ehrgeizig, erfolgreich. Sie hat mir ein völlig neues Leben ermöglicht. So eine Chance bekommt man nur einmal im Leben, wenn überhaupt! Die hätte mich nie genommen, wenn sie gewusst hätte, aus was für einer Gosse ich komme.
MM: Sie haben also ihrer jetzigen Frau eine frei erfundene Vergangenheit vorgegaukelt, verstehe ich Sie da richtig?
GD: Ja.
MM: Und wie hat Ihre erste Familie auf Ihr Verschwinden reagiert?
GD: Ich hab einfach nichts mehr von mir hören lassen, dabei hab ich immer in ihrer Nähe gewohnt. Aber die Mutter der Kinder war so gleichgültig. Ich wusste, dass sie mich nicht suchen würde. Und die Kinder waren zu klein.
MM: Hatten Sie denn kein schlechtes Gewissen?
GD: Sie haben gut reden.
MM: Setzen Sie sich bitte wieder, Herr Diekamp. Wie ist das mit Ihrem schlechten Gewissen?
GD: Sie waren sicher niemals in so einer Situation! Ich bin da reingerutscht, wollte die Frau nie, plötzlich war sie schwanger, dann bin ich mit ihr zusammengezogen, logisch, bin ja kein Unmensch, oder so. Ab da ging’s bergab. Dabei wollte ich mal hoch hinaus, war ehrgeizig und fleißig. Ein kleiner Ausrutscher und für immer in die Gosse? Nein, nicht mit mir!
MM: Bitte bleiben Sie sitzen, Herr Diekamp.
GD: Ich schwöre Ihnen, mit der Frau war nichts möglich, außer vor der Glotze zu sitzen. Es war die Hölle! Dann kam auch noch das zweite Kind. Ich hab damals eine Menge Alkohol getrunken, um das alles zu ertragen. Und…
MM: Und weiter?
GD: Die Kleine war behindert, hatte immer so Krämpfe und musste Medizin schlucken. Sie ist dann irgendwann gestorben, da war ich aber schon weg.
MM: Wo sind Ihre Tochter und Frau Meinhard jetzt?
GD: Keine Ahnung.
Cleo hatte genug gelesen. Sie legte das Protokoll zurück und setzte sich wieder auf ihren Platz. Was für eine Geschichte! Wenn Anja davon irgendwas rausgekriegt hatte, dann…
Wolff kam zurück. Er war völlig außer Atem, als wäre er gerannt. »Entschuldigen Sie bitte. Ich habe Sie viel zu lange warten lassen. Aber der Kasten war leer und da musste ich rüber zur Sitte. Die hatten noch Wasser.«
Er schraubte den Verschluss ab und goss ein. Anschließend setzte er sich Cleo gegenüber. »Wo waren wir stehen geblieben?«
»Bei Sabrina Meinhard.« Sie durfte sich auf keinen Fall etwas anmerken lassen. Noch ein Vergehen und er wäre mit seiner Geduld bestimmt am Ende.
»Richtig. Haben Sie je von ihr gehört?«
»Nein, nie.«
»Meinen Sie, dass das die Geschichte war, die Anja Ihnen erzählen wollte?«
»Vielleicht.« Die Vorstellung, dass Anja ihr von einer Schwester hatte erzählen wollen und sie nicht zugehört hatte, tat entsetzlich weh.
»Darf ich jetzt gehen?« Sie musste hier raus.
»Ja«, antwortete Wolff. »Warten Sie, eine Frage noch.«
»Ja?«
»Frau Diekamp meinte, dass Anja ein Handy hatte. Wissen Sie zufällig, wo ich
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