Giftpilz
Riesle stoppten.
Der Unterschied war nur, dass Ersterer ein paar Sekunden später
weiterfahren durfte. Offenbar hatte er sich den Beamten gegenüber ausgewiesen –
wenn sie ihn nicht ohnehin schon kannten.
»N’Abend«, grummelte der Streifenbeamte, der nun auf Riesles Kadett
zukam.
»N’Abend, Herr Wachtmeister. Stimmt was nicht?« Riesle gab sich
zunächst ahnungslos.
»Kann man so sagen. Sie sind gerade mit fast achtzig Stundenkilometern
in einer geschlossenen Ortschaft gefahren. Und davor über einige Kilometer
knapp hundertdreißig, wo nur hundert erlaubt war. Mein Kollege und ich hatten
den Tacho immer im Blick. Führerschein und Ausweispapiere, bitte.«
»Tatsächlich? Hören Sie, ich bin Journalist. Riesle, Schwarzwälder
Kurier.« Er streckte dem Beamten ein zerfleddertes Pappschild mit der
Aufschrift »Presse« entgegen und zückte dann seinen Presseausweis, der in einem
nur unwesentlich besseren Zustand war. Da der Beamte immer noch seine Hand
aufhielt, rückte er auch noch die übrigen geforderten Papiere heraus.
»Ich bin unterwegs zu einem dringenden Einsatz. Es wäre nett, wenn
Sie mich deshalb nicht aufhalten würden. Ich bin mit Kriminalhauptkommissar
Thomsen, den sie gerade eben kontrolliert haben, gut bekannt. Quasi mit ihm
gemeinsam unterwegs.«
Doch auch Polizeiobermeister Hagmann war mit seinem Kollegen Meyer
unterwegs zu einem »dringenden Einsatz«. Normalerweise hätte eine mündliche
Ermahnung gereicht. Aber wenn dieser Schreiberling meinte, irgendwelche Märchen
erzählen zu müssen, dann war er bei ihm an den Richtigen geraten. Thomsen, der
den Verfolger nämlich sehr wohl bemerkt und deshalb beschleunigt hatte, hatte seinen
Kollegen nämlich klargemacht, dass dieser Riesle ein Störenfried sei und einen
saftigen Strafzettel verdient habe.
»Hören Sie mal, Herr Riesle. KHK Thomsen hatte aber gar nicht den
Eindruck, dass Sie gemeinsam unterwegs seien. Auf Sie dürften drei Punkte in
Flensburg und sechzig Euro Strafe zukommen.«
»Aber, Herr Wachtmeister!«, empörte sich Riesle.
»Polizeiobermeister lautet meine Dienstbezeichnung. Sie brauchen gar
nicht zu versuchen, mit mir zu verhandeln.«
Riesle rechnete hektisch nach. Sein Flensburger Punktekonto hatte er
stets im Kopf. Nach der letzten bußgeldpflichtigen
Geschwindigkeitsüberschreitung war es auf elf Punkte angewachsen. Plus drei,
machte also vierzehn. Den Führerschein würde er erst mit achtzehn Punkten los
sein. Allerdings musste er jetzt an einem dieser Punkteabbaukurse teilnehmen.
Riesle wusste genau: Würde er den Nachweis darüber nicht rechtzeitig erbringen,
dann wäre er den Lappen für einige Zeit los. Und damit weiter weg denn je von
Exklusivgeschichten. Eine Fahrgemeinschaft mit Thomsen ließ sich ja wohl kaum
organisieren …
Der Beamte füllte den Bußgeldbescheid aus und überreichte ihn
Riesle.
»Ob der vor Gericht verwertbar sein wird, wenn Sie nur mit dem Tacho
gemessen haben? Oder hatten Sie etwa auch einen mobilen Laser dabei?« Riesle
wollte sich mit der Sache noch nicht abfinden.
»Lassen Sie’s ruhig drauf ankommen. Sie sind über mehrere Kilometer
deutlich zu schnell gefahren. Ich glaube, da wird der Richter eher zwei
Polizeibeamten glauben als Ihnen. Und jetzt bitte vorsichtig weiterfahren. Wir
beobachten Sie ganz genau.«
Verdammt! Schon das Geld ärgerte Riesle mächtig. Mindestens genauso
schwer wog aber, dass Thomsens Wagen weg war. Mindestens fünf Minuten hatten
ihn diese Wichtigtuer gekostet.
Während er beschloss, gleich morgen an Thomsens Auto einen
Peilsender anzubringen, zuckelte Riesle demonstrativ langsam vor den Polizisten
her in Richtung Königsfeld. Dort wollte er nun seinen ursprünglichen Plan verwirklichen:
einen Besuch bei Hubertus. Der würde es sicher verkraften, wenn er diesmal kein
Mitbringsel in Form eines Herrenmagazins bekam.
Allmählich fühlte sich Riesle von den beiden Beamten
hinter ihm genötigt. Selbst kurz vor dem Ortseingang von Königsfeld verfolgten
sie ihn immer noch, obgleich er sich mittlerweile auf Tempo sechzig
heruntergebremst hatte. Wollten sie ihn die ganze Nacht beschatten?
Plötzlich setzte der Streifenwagen zum Überholen an. Gleich würde
wieder die Leuchtschrift »Bitte folgen« zu sehen sein, und dann würden sie ihm
noch einen Strafzettel wegen zu langsamen Fahrens anhängen, womit sein Punktekonto
in Flensburg endgültig reif für den Führerscheinentzug war …
Zwar überholten die Beamten, schüttelten angesichts Riesles
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